Evelyn Böhmer-Laufer ist seit 1991 Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin in freier Praxis in Wien. Sie ist Gründungsmitglied der Psychoanalytischen Beratungsstelle des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse, Begründerin des Böhmer-Laufer psychosozialen Praktikums im Maimonides Zentrum/ BLPP und des Projekts peacecamp, das sie nach wie vor leitet. Neben ihrer psychotherapeutischen und psychoanalytischen Arbeit mit neurotischen Störungen und Persönlichkeits- bzw. Entwicklungsstörungen bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren gibt sie ihr Wissen auch in Lehrveranstaltungen, Workshops und Seminaren weiter. Im Gespräch mit Access Guide erklärt die klinische Psychologin, warum Menschen mit psychischer Erkrankung oft im Abseits leben.
Access Guide Magazin: Psychische Erkrankungen stigmatisieren die Betroffenen immer noch. Warum ist das so?
Böhmer Laufer: Menschen fürchten, was ihnen nicht bekannt ist. Die Diskriminierung psychisch Kranker hat viel mit der Ausgrenzung von „Fremden“ – Menschen anderer Herkunft, Religion, Kultur – gemeinsam. Auf sie projizieren wir unliebsame Merkmale, Eigenschaften, Eigenheiten der eigenen Person: nicht ich bin manchmal depressiv, aggressiv, verliere die Kontrolle – die anderen sind es, die diese Züge haben. Durch die Ausgrenzung dieser „anderen“ entsteht die Illusion, eigene unliebsame Eigenschaften „losgeworden“ zu sein.
Access Guide Magazin: Das Gesundheitssystem stellt im Vergleich zu physischen Leiden noch immer weniger Mittel für die Versorgung psychisch Kranker zur Verfügung. Wie könnte eine „Gleichstellung der Leiden“ verwirklicht werden?
Böhmer Laufer: Psychisch Kranke haben ein negatives Image: sie seien nicht stabil, nicht verlässlich, dem Arbeitsprozess nicht Gewinn bringend. Das Gesundheitssystem sieht in ihnen keine „rentablen“ Arbeitnehmer, in die es sich lohnen würde, zu investieren.
Access Guide Magazin: Was bringt es in diesem Zusammenhang, wenn sich Prominente öffentlich zu ihren psychischen Erkrankungen bekennen?
Böhmer Laufer: Prominente sind positive Identifikationsfiguren – man möchte sein, wie sie. Wenn diese positiv besetzten Vorbilder psychische Erkrankungen haben, ist es womöglich nicht beschämend, selbst Merkmale einer Erkrankung zu haben.
Access Guide Magazin: Was können die Medien dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen nicht mehr als „Schande“ erlebt oder beurteilt werden?
Böhmer-Laufer: Die Medien können über psychische Krankheiten berichten. Etwa darüber, dass Menschen, die solche Krankheiten haben – etwa Autismus – durchaus wertvolle Personen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt sein können.
Access Guide Magazin: Die Ausgrenzung von Menschen mit psychischen Erkrankungen macht sich besonders in der Arbeitswelt bemerkbar. Wie könnten Unternehmen da zu einem Umdenken motiviert werden?
Böhmer-Laufer: Unternehmen könnten für die Einstellung und Aufnahme psychisch kranker Mitarbeiter einen Bonus bekommen – etwa geringere soziale Abgaben oder steuerliche Begünstigung.
Access Guide Magazin: Wie erleben Betroffene die gesellschaftliche Ausgrenzung? Was sind die häufigsten Probleme? Was können sie selbst dagegen tun?
Böhmer-Laufer: Je länger die Ausgrenzung, umso schwerer die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Das AMS bräuchte gut geschulte SozialarbeiterInnen, die Betroffene mit Beratung und Coaching und auf ihrem Weg ins Arbeitsleben unterstützen. Betroffene sollten Coaching, Selbsthilfegruppen etc. zur Verfügung gestellt werden. Behandelnde Institutionen sollen motivierend und unterstützend zur Seite stehen.
Access Guide Magazin: Wie sehr betrifft das Stigma auch die Angehörigen psychisch Kranker und wie können sie damit umgehen?
Böhmer Laufer: Für jeden Menschen kann ein psychisch kranker Angehöriger eine Belastung sein. Auch hier empfehle ich Selbsthilfegruppen und individuelle Ansprechpartner, wie SozialarbeiterInnen oder PsychotherapeutInnen. Versicherungen sollten niedrigschwellige Angebote dieser Art machen.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.
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