Vor 120 Jahren erschien Sigmund Freuds epochales Werk „Die Traumdeutung“. Grund genug, sich auf die Spuren des Seelenforschers zu begeben. Der Begründer der Psychoanalyse verbrachte den Großteil seines Lebens in Wien. Im Alter von vier Jahren zog er als Sohn galizischer Eltern jüdischer Abstammung mit seiner Familie von seinem Geburtsort Freiberg in Mähren in die Hauptstadt der Donaumonarchie.
Die Berggasse 19 im 9. Bezirk war 47 Jahre lang Freuds Dreh- und Angelpunkt, Standort seiner Praxis und Wohnort seiner Familie. Dort arbeitete er an seinen Theorien, verfasste wissenschaftliche Schriften und analysierte die feine Wiener Gesellschaft auf dem Diwan. Ab 1902 war das Haus in der Berggasse auch Treffpunkt der von Freud ins Leben gerufenen „Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft“, dem ersten psychoanalytischen Arbeitskreis und Vorläufer der „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“. Und von der Berggasse aus trat Freud mit seiner Familie 1938 die Flucht vor den Nationalsozialisten ins Exil an. Heute ist in der Berggasse 19 das Sigmund Freud Museum untergebracht. Nach einjähriger Renovierung wird das Museum im Spätsommer wieder öffnen.
Sigmund Freud legte mit seinen Analysen Verborgenes frei, blickte in die tiefen Abgründe der Seele. Dass Freud die Sexualität als Zentrum vieler Handlungen und Wünsche darstellte, störte und verstörte nicht wenige seiner Zeitgenossen. Im Wien der Jahrhundertwende war das Geschlechtliche ein von Ängsten und Neugier umgebenes Tabuthema. Die Entstehung der Psychoanalyse fällt zugleich in die Epoche der „Wiener Moderne“. Wien um 1900 war der Mittelpunkt des europäischen Geisteslebens, des intellektuellen und künstlerischen Aufbruchs, einer Hochblüte von Literatur, Musik, Kunst, Architektur und Philosophie, geprägt von großen gesellschaftlichen Veränderungen und Konflikten. Im Fin de Siècle entstand in der Hauptstadt des Habsburgerreichs ein idealer Boden für neue Ideen, Theorien und Methoden, die bis weit ins 20. Jahrhundert weiterwirkten. Und auch Freuds Werk wird bis heute diskutiert, kritisiert und angewendet.
Den entscheidenden Traum, der Sigmund Freud zu seinem grundlegenden Werk der Psychoanalyse führte, hatte er in der Nacht vom 23. auf den 24.7.1895 auf der Bellevuehöhe in der Himmelstraße 115. Dort verbrachte Freud den Sommer bei der Familie Ritter von Schlag in ihrem Schloss. Im Traum glaubt Freud, dass Irma, eine seiner Patientinnen nicht an einer psychischen, sondern einer körperlichen Krankheit leidet. Das würde ihn als Seelenforscher von jeglicher Schuld befreien. Basierend darauf entwickelt Freud seine These vom Traum als Wunscherfüllung. In einem Brief an seinen Berliner Freund und Kollegen Wilhelm Fließ schrieb Freud: „Glaubst Du eigentlich, dass dereinst auf einer Marmortafel zu lesen sein wird: ‚Hier enthüllte sich am 24. Juli 1895 dem Dr. Sigmund Freud das Geheimnis des Traums?‘“ Tatsächlich steht an der Stelle des später abgerissenen Schlosses heute ein kleines Denkmal mit genau diesem Zitat Freuds.
Die Familie Freud residierte noch an zwei weiteren Adressen im 19. Bezirk. Beide sind zwar nicht zugänglich, aber von außen kann man einen Blick drauf werfen. Die Villa an der Hohen Warte 46 gewohnte Freud im Sommer 1933. Das 2006 komplett umgebaute Gebäude ist heute ein katholisches Seminar- und Bildungshaus.
Im Sommer 1934 mietete die Familie Freud ein Haus in der Strassergasse 47. Hier begann Sigmund Freud die Arbeit an seinem Buch „Der Mann Moses“, ein historischer Roman, über den er sich mit Besuchern wie Thornton Wilder und Thomas Mann unterhielt. Das Haus blieb bis zu seiner Emigration 1938 sein letztes Sommerdomizil in Wien. Sigmund Freud ging auch gerne ins Kaffeehaus zum Schach- und Tarock-Spielen. Regelmäßig frequentierte er das Café Landtmann an der Ringstraße sowie das Café Central und das Café Korb in der Innenstadt.
Parks und Büsten
In einem der Innenhöfe des Campus der Medizinischen Universität Wien in der Spitalgasse 23 im neunten Bezirk befindet sich eine Statue des Begründers der Psychoanalyse. Im Arkadenhof der Universität Wien am Universitätsring 1 im ersten Bezirk steht seit 1955 eine Büste von Sigmund Freud. Die Jahresangabe 1885-1934 bezieht sich auf Freuds Lehrtätigkeit. Sigmund Freud ging gerne in dem Park vor der Votivkirche spazieren, meist begleitet von seinen zwei Chow-Chows. Die Grünflächen in Richtung Ringstraße wurden 1984 nach ihm benannt.
Die 1968 in Wien gegründete Sigmund Freud Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, das Leben und Werk von Sigmund Freud sowie Forschungsergebnisse zur Theorie und Anwendung der Psychoanalyse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit Vorträgen und Veranstaltungen sollen in Kooperation mit dem Sigmund Freud Museum und der von der Gesellschaft als Stifterin gegründeten Sigmund Freud Privatstiftung die Erkenntnisse der Psychoanalyse und deren aktuelle Entwicklungen vermittelt werden. Die Sigmund Freud PrivatUniversität Wien (SFU) startete 2005 als humanwissenschaftliche Universität mit Fokus auf Psychotherapiewissenschaft. Mittlerweile besitzt sie drei weitere Fakultäten (Psychologie, Medizin, Rechtswissenschaften) und betreibt Dependancen in Linz, Berlin, Paris, Ljubljana und Mailand.
Freud heute
Auch der Online-Streaming-Dienst Netflix würdigt 2020 den Begründer der Psychoanalyse mit einer Serie. Die acht jeweils 55 Minuten langen Folgen, produziert von der Wiener Produktionsfirma SATEL und Bavaria Fiction für ORF und Netflix, porträtieren die jungen Jahre des Sigmund Freud, der sich in eine mörderische Verschwörung verstrickt. Der österreichische Regisseur und Drehbuch-Autor Marvin Kren dazu: „Ich möchte einen ‚Freud‘ zeigen, den wir so nicht kennen und noch nie gesehen haben – einen Mann auf der Suche nach Anerkennung, zwischen zwei Frauen, zwischen Vernunft und Trieben.“ Der Thriller-Krimi unternimmt eine spannende Reise durch das Wien des Fin de Siècle. Über Netflix kann die Serie in 30 untertitelten und 8 synchronisierten Sprachen weltweit gestreamt werden.
Duft & Kultur
Auch Künstler der Gegenwart lassen sich von Freud inspirieren, allen voran der Wiener Street-Art-Künstler Nychos, der Sigmund Freud mit einem Mural am Donaukanal bei der Spittelau ein zeitgenössisches Denkmal setzte. Das Wiener Parfumhaus „Wiener Blut“ hat einen Sigmund Freud gewidmeten Duft kreiert. Die Ingredienzen von „Freudian Wood“ sind unter anderem Ambrette (Moschusmalve), Zypresse, Milch, Kümmel, Mimose und Sandelholz, die einen „milchigen Duft, der das intime Hautgefühl einfängt“ ergeben.