Medizinische Unterstützung

Adipositas Zentrum Wien © Alek Kawka

Mehr als eine Million Menschen in Österreich sind fettleibig, Tendenz seit Jahren steigend. Die Folgen der Adipositas sind schwerwiegend – für die Betroffenen ebenso wie für das Gesundheitssystems. Das Adipositas Zentrum im Krankenhaus Barmherzige Schwestern Wien, Vinzenz Gruppe, im 6. Bezirk bietet ein umfassendes Therapieangebot, bei dem Betroffene lernen, ihren Umgang mit dem Essverhalten, der körperlichen Bewegung, aber auch mit den eigenen Gedanken und Gefühlen positiv zu beeinflussen. Das nachhaltige Ziel besteht neben der Gewichtsreduktion darin, die Lebensqualität langfristig durch eigene Maßnahmen positiv zu verändern. Im Interview erklären Georg Tentschert, Leiter des Adipositas-Zentrums und Larisa Dzirlo, Leiterin III. Medizinsche Abteilung für Innere Medizin und Psychsomatik, welche Angebote es im Adipositas Zentrum gibt.

Access Guide Magazin: Welche Angebote für Menschen mit krankhaftem Übergewicht gibt es im Adipositas-Zentrum der Barmherzigen Schwestern Wien-Gumpendorf?

Georg Tentschert im Gespräch mit einer Patientin © Alek Kawka

Georg Tentschert im Gespräch mit einer Patientin © Alek Kawka

Tentschert & Dzirlo: Wir bieten zwei konservativen Therapieschienen sowie den adipositaschirurgischen Bereich. In der zertifizierten chirurgischen Adipositas-Ambulanz werden Patientinnen und Patienten mit Operationswunsch beraten, abgeklärt, operiert und nachgesorgt – und das alles interdisziplinär mit einer zentralen Ansprechperson, unserem Adipositas-Coach. In der internistischen Adipositasambulanz werden die Patientinnen und Patienten von einer Stoffwechselexpertin und Ernährungsmedizinerin betreut, um langfristig eine Umstellung des Lebensstils und der Ernährung zu erzielen und somit die Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes zu optimieren. Die Coping-School ist auf vier Säulen aufgebaut: Ernährung, Bewegung, Psychotherapie, Akupunktur. Hier werden die Patientinnen und Patienten über einen Zeitraum von 10 Wochen – einmal pro Woche für ca. 7 Stunden – interdisziplinär betreut.

Access Guide Magazin: Wie langfristig sind die Erfolge, die im Adipositas-Zentrum erzielt werden?

Tentschert & Dzirlo: Entscheidend ist hier die aktive Mitarbeit der Betroffenen. Sowohl die konservative Behandlung als auch die chirurgische Therapie sollen immer auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Patientinnen und Patienten abgestimmt sein – und das in Absprache mit der Patientin bzw. dem Patienten selbst. Denn nur wenn die/der Betroffene gut aufgeklärt ist und die einzelnen Therapieschritte versteht, ist sie/er motiviert und kann sie/er ein aktiver Teil der Therapie werden.

Access Guide Magazin: Warum werden manche Menschen adipös, andere nicht?

Tentschert & Dzirlo: Übergewicht und Adipositas sind definitionsmäßig keine Essstörungen und müssen nicht mit einem pathologischen Essverhalten verbunden sein. Die Ursachen sind multifaktoriell und zu betonen sind Bewegungsmangel, Nahrungsmittelüberfluss, die veränderten Lebensgewohnheiten der westlichen Gesellschaft, Stress, Schlafmangel, psychische Erkrankungen (Depression, Essstörungen) oder manch somatische, endokrine Erkrankungen an sich (Morbus Cushing, Hypothyreose). Auch die Einnahme mancher Medikamente kann eine Gewichtszunahme begünstigen. Es spielen auch körperliche Prädisposition wie genetische Faktoren und Hormonhaushalt eine wichtige Rolle. Zu erwähnen sind noch die ethnischen, sozialen, familiären und psychischen Einflüsse.

Access Guide Magazin: Welche Rolle spielen genetische Faktoren?

Larisa Dzirlo © Alek Kawka

Larisa Dzirlo © Alek Kawka

Tentschert & Dzirlo: Der US-amerikanische Psychiater Albert Stunkard und seine Mitarbeiter haben in den 1990-er Jahren den Einfluss der Genetik auf Adipositas erforscht und dabei eine Korrelation zwischen genetischen Faktoren und Adipositas beobachtet. Zusätzlich gibt es aus der neueren Genforschung Hinweise auf die genetische Steuerung des appetitregulierenden Hormons Leptin. Zu erwähnen ist auch das Prader-Willi Syndrom, das mit einem Gendefekt einhergeht, wo die Patienten, unter anderen Symptomen, auch übergewichtig sind.

Access Guide Magazin: Was sind die häufigsten körperlichen Folgeerkrankungen von Übergewichtigen/Adipösen?

Tentschert & Dzirlo: Es besteht bei übergewichtigen/adipösen  Menschen ein erhöhtes Risiko für verschiedene somatische Erkrankungen. Nach WHO haben diese Patientinnen und Patienten ein dreimal höheres Risiko an der Zuckerkrankheit Typ 2, Gallensteine, hohe Blutfettwerte, Fettleber und Schlaf-Apnoe Syndrom zu erkranken. Darüber hinaus haben adipöse Menschen ein zwei- bis dreimal höheres Risiko an hohem Blutdruck, koronaren Herzerkrankungen, Gicht, Gelenksarthrosen und Speiseröhre Entzündung zu erkranken. Es gibt Daten, dass Adipositas ein bis ein- bis zweimal erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen darstellt.

Access Guide Magazin: Welche Auswirkungen hat starkes Übergewicht auf die psychische Gesundheit und den Selbstwert der Betroffenen?

Tentschert & Dzirlo: Essen hat unter anderem eine psychische Funktion, besonders bei jenen Patientinnen und Patienten, die auf Grund einer Essstörung adipös geworden sind. Im ganz frühen Entwicklungsstadium hat Essen eine Funktion für die Bildung des Selbst. In einer gesunden Entwicklung soll das Essen diese regulatorische Funktion verlieren. Adipöse Menschen haben im Alltag mit sozialer Diskriminierung und gesellschaftlichen Vorurteilen, die das Selbstwertgefühl schwächen, zu kämpfen. Wir leben in einer Zivilisation wo es sehr viel um Leistung und Triebverzicht geht. Adipositas wird großteils als „Willensschwäche“ gesehen und etwas was man selbst beeinflussen kann und für das man selbst „verantwortlich“ ist. Es können mehrere Aspekte von Adipositas und psychischem Zustand unterschieden werden. Zum Bespiel, eine psychische Erkrankung, als Begleiterkrankung der Adipositas (Depression, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen oder posttraumatische Belastungsstörung) oder ein psychisches Geschehen, das Adipositas begünstigt. Adipositas, die als Folge von „Zu-viel-essen“ entstanden ist, ist mit einem Gefühl der Leere, Einsamkeit, Depression und Ängsten assoziiert.

Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.

Weiterführende Informationen

Adipositas-Zentrum Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien
Adipositas Informationsabende nächste Termine:
Mittwoch, 20. Jänner 2021, 17.00 Uhr (online)
Mittwoch, 19. Mai 2021, 17.00 Uhr
Donnerstag, 28. Oktober 2021, 17.00 Uhr
Die Teilnahme ist kostenlos!
Bitte um Anmeldung: adipositas.wien@bhs.at