Arbeiten zu können, ist wichtiger Bestandteil eines funktionierenden, sozialen Lebens. Umso dramatischer wirken sich längere Phasen der Erwerbslosigkeit auf das Leben der Betroffenen aus. Für Männer ist das dann besonders schlimm, wenn dadurch ihr tradiertes Rollenverständnis erschüttert wird. Sabine Etl und Raoul Biltgen von der Männerberatung Wien haben ein Buch darüber geschrieben.
Access Guide Magazin: Warum empfinden sich viele Männer in der heutigen Gesellschaft verstärkt als die neuen Verlierer?
Sabine Etl: Das beginnt schon bei den Burschen, die eine vermeintliche Frauendominanz in der Schule beklagen und reicht bis zur Krise der Scheidungsväter, die sich vor Gericht benachteiligt fühlen. Die Kulturtheoretikerin Ines Kappert hat in ihrer Studie „Der Mann in der Krise“ gezeigt, dass der Ursprung allen Übels das Männer trifft, nicht selten im Feminismus gesucht wird und an den sich wandelnden Geschlechterverhältnissen. Die Lösungsvorschläge innerhalb dieses Krisendiskurses sind dementsprechend rückwärtsgewandt. Als Zukunftsideal wird eine „gute, alte Zeit“ samt alter Rollenverteilungen herbeiphantasiert, in der die Welt noch „in Ordnung“ war. In der Männer BBE versuchen wir einen anderen Blick auf das Leiden der Männer zu werfen. Bei aller Vielschichtigkeit der individuellen Erfahrungen ist es aber so, dass Männlichkeit immer noch sehr eng mit Lohnarbeit verbunden ist.
Access Guide Magazin: In Ihrem Buch kommen auch Betroffene zu Wort. Was verbindet sie?
Sabine Etl: Uns war wichtig zu signalisieren, dass die Männer nicht allein sind. Arbeitslosigkeit ist mittlerweile nicht nur ein individuelles Schicksal, sondern eine Folge des herrschenden, neoliberalen Modells. Die Coronakrise hat das noch verschärft. Die Beiträge der Betroffenen in unserem Buch sind sehr unterschiedlich – worunter aber alle letztendlich leiden ist der abwertende Blick von Außen, der ihnen unterstellt, dass sie nicht „arbeitswillig“ seien. Das Gegenteil ist oft der Fall: Viele wollen sehr wohl, können aber nicht. Der Frust, den diese Menschen spüren wird immer größer, während zeitgleich das Gefühl gleichwertig zu sein immer kleiner wird.
Access Guide Magazin: Bei der Männer BBE sind die Männer unter sich. Warum ist das wichtig?
Sabine Etl: Männer haben meist nicht gelernt, sich auszutauschen. Sie kennen sich zwar gut mit Seilschaften aus, aber da werden Allianzen der Starken gebildet, in der Schwache nicht vorkommen. Bei uns können Männer die Vielfalt untereinander erleben und auch ihre Schwächen zeigen, wenn sie instabil oder hilfsbedürftig sind. Dabei wird nicht gewertet, sondern nur reflektiert. Zum Mannsein gehört ja nicht nur Stärke, sondern auch Empfindsamkeit oder Traurigkeit. In den Gruppen können Männer ihre Diversität besser kennen lernen. Männer brauchen einen Schutzraum, in dem sie sich ohne Konkurrenzdruck zeigen können.
Access Guide Magazin: Wie wirkt sich Erwerbslosigkeit auf die Psyche von Männern aus?
Sabine Etl: Ihr Selbstbild wird stark erschüttert. Viele sehen sich ja in der Rolle des Familienernährers. Die Folge sind nicht selten Depressionen oder Alkoholismus, sozialer Rückzug und Verwahrlosung oder Burn Out. Die wenigsten haben gelernt, geeignete Coping-Strategien zu entwickeln. Nicht wenige unserer Klienten sind an jenem Punkt angelangt, an dem sie jede Hoffnung auf eine neue Arbeitsstelle längst aufgegeben haben und nur mehr erfüllen, was sie erfüllen müssen, um sich ihr Arbeitslosengeld zu sichern. Selbstvorwürfe stehen bei vielen an der Tagesordnung. Viele fühlen sich als Außenseiter, sei es, weil sie tatsächlich gemieden werden, oder sie selbst die Gesellschaft anderer meiden. Dabei bleibt das Gefühl der Selbstbestimmung auf der Strecke.
Access Guide Magazin: Welche Männer nehmen die Angebote der Männer BBE in Anspruch?
Sabine Etl: Die Hintergründe sind sehr unterschiedlich. Mehr als die Hälfte hat eine niedrige Qualifikation mit oder ohne Lehrabschluss oder sind Facharbeiter. Dazu kommen einige wenige Akademiker und Selbständige mit brüchigen Berufskarrieren oder Krankheiten. Es gibt aber auch jüngere Männer, die noch gar nicht auf dem Arbeitsmarkt gelandet sind, aber auch einen Manager und einen Arzt, einen Polizisten und viele ehemalige Alkoholiker mit Depressionen. In der Männer BBE können die Betroffenen die Zeit der Erwerbslosigkeit nutzen, um etwas über sich selbst zu erfahren und einen Neustart in Angriff zu nehmen. So können sie die Arbeitslosigkeit auch als Chance sehen.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.