Die deutsche Soziologin Jutta Allmendinger ist mit ihrer Geduld am Ende. Seit über drei Jahrzehnten untersucht sie, wie Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern erreicht werden kann. Ihr ernüchterndes Fazit lautet: „Wir bewegen uns rückwärts in die Zukunft“. Corona hat die wahren gesellschaftlichen Verhältnisse wie unter einem Brennglas hervortreten lassen: Männer arbeiten, Frauen arbeiten auch und versorgen die Kinder. Männer verdienen, Frauen verdienen auch – aber bloß etwas dazu. Teilzeit und Karenzzeit sind fast immer noch Frauensache, Führungspositionen und hohe Gehälter Männersache. Die Autorin reflektiert nicht nur die historischen, gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern auch die eigene Familiengeschichte und spannt dabei den Bogen von ihren Großeltern bis zu ihrer zukünftigen Enkelin. „1925 lag die Erwerbsquote von Frauen bei knapp 49 Prozent, von Männern bei über 95 Prozent. Mehr als ein Vierteljahrhundert später hatte sich an der Beschäftigung von Frauen nichts geändert, die der Männer war um 2 Prozentpunkte gefallen. In den nächsten Jahrzehnten nahm dann die Erwerbsquote von Männern kontinuierlich ab, die der Frauen dagegen stieg stetig. Heute liegt die Erwerbsquote der Frauen bei 72,8 Prozent und die der Männer bei 80,5 Prozent“, schreibt die Soziologin.
Wenn eine Frau Mitte des 20. Jahrhunderts erwerbstätig war, hat sie nur unwesentlich weniger als ein Mann gearbeitet – der Unterschied lag bei wöchentlich 2 Stunden. Heute beträgt der Unterschied im Schnitt 8,2 Tage, also mehr als einen ganzen Arbeitstag pro Woche. Das liegt daran, dass die meisten Frauen in Teilzeit arbeiten, um ihre Kinder zu betreuen. Bei Männern aber machen weder der Familienstand noch Kinder im Haushalt einen Unterschied. Ihre Erwerbsbeteiligung und ihre Arbeitszeiten sind nach wie vor völlig unabhängig von ihrer familiären Situation. Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man die unbezahlte Arbeit von Frauen und Männern betrachtet, wie Essen kochen, putzen, einkaufen oder Termine organisieren. Allmendinger sieht von Veränderung keine Spur. In ihrem Buch rückt sie deshalb die strukturellen, rechtlichen und familienpolitischen Bedingungen für Familien in den Mittelpunkt und nimmt jene kulturellen Zuschreibungen genauer unter die Lupe, die ebenfalls die großen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen erklären können.
In „Es geht nur gemeinsam“ zeigt Jutta Allmendinger fundiert und faktenbasiert, was sich endlich ändern muss, damit wir echte Gleichberechtigung herstellen. Ihre Streitschrift ist ein Fahrplan in die Zukunft, in der Geschlechtergerechtigkeit keine Forderung mehr ist, sondern ein Fakt. Jutta Allmendinger, geboren 1956, ist eine der führenden deutschen Soziologinnen. Sie studierte an der Universität Mannheim und an der University of Wisconsin und promovierte an der Harvard University. Von 1999 bis 2002 war Allmendinger als erste Frau Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Seit 2007 ist sie Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung WZB. 2018 war sie eine der ersten Fellows im Thomas Mann House in Los Angeles. Seit 2017 ist sie Mitglied im Herausgeberrat der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“.