Nach wie vor ist es in Österreich alles andere als selbstverständlich, dass Kinder aus Armutsfamilien oder Arbeiter*innenkinder einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erreichen. „Die neoliberale Losung, alle seien mit denselben Chancen geboren und müssten sich bloß genügend anstrengen, zersetzt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist empirisch nicht haltbar“, schreiben Bettina Aumair und Brigitte Theißl im Vorwort zu ihrem aktuellen Buch „Klassenreise“. Darin widmen sich die beiden Autorinnen jenen Menschen, die sich auf einen Weg begeben haben, der nicht für sie vorgesehen war.
Aufgewachsen in einkommensarmen Haushalten sind diese „Klassenreisenden“ oft die ersten in der Familie, die an einer Universität studieren. Weder in der einen noch in der anderen Welt zuhause, fühlen sich viele ihr Leben lang im Dazwischen. Dort, wo sie sind, dürften sie eigentlich nicht sein. Sie erleben den „Aufstieg“ als Chance, aber auch als Bruch und als schmerzhafte Erfahrung.
Die elf Personen, die Bettina Aumair und Brigitte Theißl in ihrem Buch porträtieren, erzählen von unterschiedlichen Klassenreisen, von Fremdheitserfahrungen sowohl an der bürgerlichen Universität als auch in der Herkunftsfamilie. Sie erzählen von der Scham, andere Kinder zu sich nach Hause einzuladen, und vom Gefühl, sich Bildungsabschlüsse erschlichen zu haben. Sie zeigen wie Rassismus und Klassismus ineinandergreifen und wie eine queere Identität den Blick auf die eigene Klassenidentität verändern kann. In den biografischen Erzählungen wird deutlich, wie ungerecht unser Bildungssystem und die Vermögensverteilung sind und wie stark Klassismus wirkt, wie er Menschen in ein Unten und ein Oben einteilt und sie in ihren Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt.
Die Autorinnen machen deutlich, wie stark uns die soziale Herkunft prägt und welche Rolle dabei Geschlecht oder Migration spielen. Die Klassenreisen- Porträts sind aber auch ein Stück Zeitgeschichte, sie erzählen vom Stadt-Land- Gefälle, von Regionalentwicklung und österreichischer Sozialpolitik und entlarven darüber hinaus den neoliberalen Aufstiegsmythos.
Über die Autorinnen
Brigitte Theißl wurde 1982 in Graz geboren und wuchs in einem Dorf in der südlichen Steiermark auf. So wie auch ihre Schwester studierte sie als Erste in der Familie an einer Universität. Sie schloss das FH-Studium Journalismus und Unternehmenskommunikation in Graz ab und studierte anschließend Gender Studies in Wien. Heute ist sie Redakteurin beim feministischen Magazin an.schläge und arbeitet als Erwachsenenbildnerin und freie Journalistin für DieStandard. In ihrer Arbeit versucht sie stets Feminismus und Antiklassismus zu verbinden. Seit dem gemeinsamen Gender-Studies-Studium setzt sie mit Bettina Aumair regelmäßig Projekte um – wie zuletzt das Buch „Klassenreise”.
Bettina Aumair wurde 1976 in Oberösterreich. Wie Brigitte Theißl hat auch sie als Erste in in ihrer Familie maturiert und studiert. An der Universität Wien hat sie ein Diplomstudium in Vergleichender Literarutwissenschaft und ein Masterstudium in Gender Studies abgeschlossen. Heute arbeitet sie als Schreibpädagogin, Projektleiterin und Gender – und Diversity-Beauftragte in der Erwachsenenbildung mit dem Fokus Jugendliche und junge Erwachsene. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Bildung und Feminsmus – imer unter der Klassenperspektive.