Panikattacken kommen vielfach aus dem Nichts und Betroffene leben in ständiger Furcht vor der Angst. Depressionen, Frustration, soziale Unsicherheiten und schließlich vollkommene Erschöpfung sowie Burnout können die Folgen sein. Der Wiener Psychotherapeut Bernd Thell kann mit Hilfe von Existenzanalyse und Logotherapie bei der Überwindung der Panikattacken helfen.
Access Guide Magazin: Wie können Angst- und Panikstörungen behandelt werden?
Bernd Thell: Zunächst wird geklärt, wie sie entstanden sind: Mein individuelles Leben, wie ist es so gekommen, wie es jetzt ist? Das kann die aktuelle Lebenssituation betreffen und/oder biographische Prägungen. Diese Elemente können gut mittels der biographischen Existenzanalyse aufgearbeitet werden. Darin werden traumatherapeutische Verarbeitungssequenzen eingesetzt, die durch imaginative Begegnungen mit den Belastungssituationen ein Nachverarbeiten möglich machen, wie ein nachträgliches, natürlich emotionales Verdauen eines verhärteten Erinnerungsbrockens. Vor allem die fürsorgliche, beschützende und stärkende Beziehung zum „damals betroffenen Ich“ hilft bei der Neuerrichtung des automatisierten und pflegsamen, inneren Umgangs mit sich selbst in Belastungssituationen. Außerdem können innere Bewegungen, die Druck machen und emotionalen Stress, gebannt und befriedet werden. Wir legen das ganz am Anfang kurz- und im Weiteren langfristig an, da natürlich vorweg das Einüben von Entspannungsaktivitäten und Selbstberuhigung begonnen wird. Der Umgang mit Angst ist etwas sehr Individuelles und will gelernt sein.
Was kann ich tun, wenn mich so ein ängstliches Erleben erreicht? Was sind eigentlich Angst- und Panikstörungen? Wie entstehen sie? In dieser anfänglichen Stabilisierungszeit erkunden wir zuerst auf Wissen und Verstehen und passende Möglichkeiten zur eigenen Beruhigung. Wie funktioniert Selbstentspannung? Wie reagiert mein Körper auf zum Beispiel langsames Atmen? Welche Methoden kenne ich oder möchte ich kennen lernen?
Ich persönlich arbeite anfangs gerne auch mit einem VR-Headset, das ich mit den Entspannungstechniken kombiniere. Darin kann rasch und treffsicher Beruhigung erlebt und anschließend leicht immer mehr selbständig geübt werden. Die Existenzanalyse bietet hier ein breites Spektrum an Möglichkeiten an.
Damit sind auch Maßnahmen verbunden, die psychische Gesundheit generell verbessern. Welche psychohygienischen Aspekte will ich verstärkt beachten: guten Schlaf, gutes Essen, gute Beziehungen … welchen Alltag möchte ich leben? Existenzanalytisch werden hier Bedürfnisse von Halt und haltgebender Struktur erarbeitet. Gerade hier muss uns auch der Lockdown in der derzeitigen pandemischen Situation beschäftigen. Welche Freiheiten und Möglichkeiten haben wir jetzt? Bieten sich vielleicht sogar neue Betätigungsfelder oder Interessen an, die bisher keinen Platz hatten.
Erst gegen Ende soll ein Konfrontieren mit etwaigen traumatischen Erlebnissen erfolgen. Sehr behutsam kann dadurch noch einmal eine Stabilisierung der erarbeiteten Strukturen das Fundament stärken. Hier wollen wir unsere Patienten auch entlassen, weil auch das selbständig Werden Ich-stärkende Funktionen hat und Selbstvertrauen verstärkt.
Access Guide Magazin: In welchen Lebenssituationen können Panikattacken auftreten, wann ist man besonders gefährdet?
Bernd Thell: Auf der einen Seite sind da biologische Faktoren ausschlaggebend. Das junge Erwachsenenalter, wo weitreichende Entscheidungen gefragt sind und die Eigenverantwortung vom Erlernen ins Umsetzen geht, wird als oft sehr fordernd erlebt. Aber auch andere Schwellenzeiten in unserem Leben können so zu verstärkter Enge führen. Zusätzlich gibt es auch genetische Bestimmungen, die unsere persönlichen Körper bereits bei der Zeugung geprägt haben. Auch biographische, traumatische Erlebnisse können sich perigenetisch ins neurologische synaptische System des Gehirns einprägen.
Enge, Druck und das Gefühl von Ohnmacht entstehen in vielen Situationen des Lebens: im Beruf im öffentlichen Verkehr, in sozialen Situationen. Diese Enge ist im Grunde auch der mitunter völlig unerwartete Auslöser für Angstattacken. Die erlebte Ausweglosigkeit im Lift, bei der Impfung, auch in der Öffentlichkeit, überreizen ein brüchiges, überlastetes System, triggern traumatische Erinnerungen oder verschärfen bereits übererregte Zustände. Der Körper wird psychisch überfordert. Das emotionale System scheitert an der Verarbeitung des Erregungszustandes und reagiert fluchtartig: erhöhte Körperaktivität. Aber der Aktionsradius wird eben hilflos und ohnmächtig wahrgenommen, das Nur-weg-hier scheint oder ist versperrt. Unsere Grundmotivation das Bedürfnis, Halt und Raum zu haben, bricht ein und der Körper reagiert mit den unangenehmen Symptomen. Unsere verlässliche Existenz wird irgendwie aufgelöst. Daher können Panikattacken in allen Lebenssituationen auftreten. Sogar in Ruhe, wenn die Gefühle im Alltag nicht geachtet werden können
Access Guide Magazin: Angsterkrankungen haben während der aktuellen Pandemie deutlich zugenommen. Warum ist das so?
Bernd Thell: Natürlich kann die Angst vor Erkrankungen durch einen unsichtbaren Gegner sehr stark sein. Furcht vor Erkrankung und vor den Folgen für den Körper wird durch den Virus angeheizt. Das ist für viele Menschen sehr bedrohlich.
Vermehrt zeigen sich jetzt die Belastungen für das soziale Empfinden. Der Lockdown macht scheinbar äußerlich eng. Er bringt uns so auch in eine innere Enge. Wenn das Leben keinen Ausweg mehr bietet, reagiert unser Körper wie jedes Leben auf diesem Planeten: mit Bewegungen der Flucht oder des Angriffs. Aber das ist für uns eben nicht immer möglich. Und jetzt, wo wir eingesperrt zu sein scheinen, ist unser Tun halt einfach eingeschränkt. Beziehungen zu anderen, gewohnte Freizeittätigkeiten, unsere Quality-Zeit ist beschnitten. Beruflich erleben viele eine existenzielle Bedrohung durch Arbeitslosigkeit und die „Leiden im Home-Office“. Ganze Familiensystem sind permanent unter Spannung, weil so wenig Platz ist. Das ist schon sehr belastend.
Access Guide Magazin: Welche Symptome von Panikattacken gibt es?
Bernd Thell: Einerseits stehen körperliche Erregungszustände im Vordergrund. Da spielen die Ausschüttung von Cortisol und Adrenalin eine große Rolle. Atemfrequenz, Puls, Herzfrequenz, Muskeltonus, alles erhöht. Dadurch kommt es zum unangenehmen Empfinden, dass etwas mit mir nicht stimmt, weil die Situation ja keine aktuelle Lebensbedrohung hat. Das kann wieder Angst machen und sich schließlich zum panikartigen Gefühl der Ausweglosigkeit und Apokalypse hochschaukeln. Schwitzen, Zittern und das verstörende Gefühl von Neben-mir-stehen und Benommenheit können sich zeigen. Impulse, fluchtartig den Raum verlassen zu müssen. Und im schlimmsten Fall das Erleben des Totstell-Reflexes: nichts mehr gegen all das tun zu können. Das ist das Schlimmste – Ohnmacht und Ausgeliefertsein.
Access Guide Magazin: Wie sieht es mit den Heilungschancen bei Panikstörungen aus?
Bernd Thell: Panikstörungen können gut bearbeitet und therapiert werden. Den körperlichen Zustand von Panik kann man zum Beispiel mittels langsamen Atmens leicht beheben. Angststörungen, die durch lange Geschichten neuronale Spuren hinterlassen haben, sich in Persönlichkeiten einschrauben, brauchen dann länger. Die Logotherapie und Existenzanalyse hat zu beiden Bereichen viel geforscht und erarbeitet. Uns steht ein gut durchdachtes Spektrum an psychologischem Unterbau und psychotherapeutischen Methoden zur Verfügung. Da gibt es seit der wissenschaftlichen Durchforstung und Modernisierung der Logotherapie und Existenzanalyse durch Dr. Alfried Längle viele gute Erfolgsgeschichten. Die existenzanalytische Psychotraumatherapie von Dr. Lieselotte Tutsch ist dabei ein wunderbar wirkungsvolles und angemessen behutsames Tool.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.