Poetische Feldarbeit

Green Man Selbstporträt 0

Lois Weinberger gilt als Vordenker einer künstlerischen Ökologie. Der Weg des 1947 Geborenen führte vom Tiroler Bauernhof aus über Stationen als Kunstschmied, Schlosser und Schauspieler schließlich zum bildenden Künstler. Seine Sozialisation erfolgte vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung in Zeiten eines kulturellen Umbruchs. Er bahnte sich in seiner Arbeit zwischen Minimal Art, Land Art, Wiener Gruppe, Surrealismus und Jungen Wilden seinen eigenen Weg einer Konzeptkunst. Zwischen ironischem Schamanismus und strikt konzeptuell gedachter, aber immer auch poetischer Herangehensweise zeigen seine Werke die Grenzen menschlicher Handlungsmacht auf. Sie machen unsere vermeintliche Überlegenheit über die Umwelt als Illusion erfahrbar.

Die Ausstellung des zweifachen documenta-Teilnehmers erstreckt sich über das Erdgeschoss sowie den Skulpturengarten des Belvedere 21 und umfasst Arbeiten auf Papier, Fotografien, Skulpturen und Objekte, Malerei, zwei Videos sowie sechs Installationen im Außenbereich. Ab Herbst 2018 arbeitete der Künstler an der Konzeption dieser Ausstellung, bis er im April 2020 unerwartet verstarb. Franziska Weinberger, die ihm seit den 1990er-Jahren künstlerisch und privat zur Seite stand, nahm seine Ausstellungsideen auf und setzte sie gemeinsam mit Kurator Severin Dünser zu einer Schau in seinem Sinne um. Den Titel Basics legte noch Lois Weinberger fest.

„Sein Blick auf Grundsätzliches – das Verhältnis des Menschen zur Natur, die Relativität des Daseins, die Subjektivität menschlicher Maßstäbe – ist vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Debatten über Klimawandel und Umweltschutz relevanter denn je. Weinberger rückt Überlegungen von der Peripherie ins Zentrum, die uns unsere als selbstverständlich erachtete Herrschaft über die Umwelt überdenken lassen. Er nimmt dabei viele Wege, die ein poetisch-politisches Netzwerk bilden, das nicht einfach zu fassen ist“, sagt Kurator Severin Dünser. Eine Art Leitmotiv ist der „Grüne Mann“, eine Figur, die in der christlichen Sakralarchitektur immer wieder auftaucht. Im Motiv des Gesichts, aus dem Blätter sprießen, werden Mensch und Pflanze zu einem Mischwesen vereint. Der Archetyp lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu – von Vorstellungen eines heidnischen Waldgotts, der für eine Symbiose zwischen Mensch und Natur steht, hin zum Waldgeist, der im Gegensatz zum Licht der christlichen Offenbarung die dunkle, ungebändigte und gefährliche Natur verkörpert. Oder der von Pflanzen überwucherte Kopf als Memento mori, das uns die Vergänglichkeit allen Seins in Erinnerung ruft. Im Selbstporträt von Lois Weinberger, seinem Werkblock mit Aquarellen und einem Objekt, alle Green Man betitelt, sind die wesentlichen Themen seiner künstlerischen Arbeit gebündelt. Lois Weinberger geht es nicht um eine versöhnliche Rückkehr zur Natur, er begreift die Wurzeln des Problems als viel tiefer liegende Fragen des menschlichen Selbstverständnisses. Kultur und Natur sieht er dabei nicht als Gegensatzpaar.

Dem Verhältnis zwischen Wohnen und Sein innerhalb des Gebaut-Seins eines Hauses spürt Lois Weinberger in Debris Field, einer rund eintausend Einzelstücke umfassenden Installation, nach. Um die siebenhundert Jahre Geschichte versammelt der Künstler darin in Form unzähliger Fundstücke, die er aus dem elterlichen Bauernhof in Stams geborgen hat. Mit seiner Freilegung erschließt er das „Trümmerfeld“ seiner persönlichen Herkunft und bildet gleichzeitig ein System von Verweisen und Symbolen des bäuerlichen Alltags. Debris Field wurde 2017 erstmals bei der documenta in Athen und Kassel gezeigt. Die Atemschutzmaske, die Weinberger bei diesen Ausgrabungsarbeiten getragen hat, setzt der Künstler seiner erstmals präsentierten Skulptur Bischof auf. Die Religiosität, ein fester Bestandteil bäuerlichen Lebens nicht nur in Stams, wird in der Figur als verbindendes Element zwischen Kulturen dargestellt. In Home Voodoo I vollführt Lois Weinberger ein Reinigungs- und Befreiungsritual, in dem sich lokales Brauchtum und familiäre Mythologie mit Voodoo, Katholizismus und Heidentum zu einer humoristischen Zeremonie verbinden.

13 Lois Weinberger documenta X 19971

Lois Weinberger, documenta X © Studio Lois Weinberger und Galerie Krinzinger Wien

Der Skulpturengarten des Belvedere 21 wird mit mehreren Arbeiten bespielt. Hier befindet sich seit 2012 der Wild Cube. Mit einem hohen Stahlkäfig, in dem die Aufforstung durch Spontanvegetation ohne menschliches Zutun erfolgt, schuf Lois Weinberger einen verschlossenen Garten, aus dem die Menschen ausgesperrt sind. Er ist ein Asyl für Flora und Fauna und führt die ungebändigte Kraft der Natur vor Augen. Im Titel spielt Weinberger auf den Begriff „White Cube“ an, angeblich die ideale Voraussetzung für die Präsentation zeitgenössischer Kunst. Wegrandhäuschen hat Weinberger in Griechenland kennengelernt, wo sie nicht nur Gedenkstellen für Verunglückte sind, sondern auch Orte, an denen für Vorbeikommende Dinge bereitgestellt werden. Diesen selbstlosen Gedanken nimmt der Künstler für sein Wegrandhaus auf. Er stattet es mit Gedichten auf Zetteln aus, die man mit Borkenkäferwegen bedrucken kann – eine Anspielung auf Wanderpässe, in denen mit Gipfelstempeln zurückgelegte Wege dokumentiert werden. Randzonen und Brachstellen interessierten Lois Weinberger, er sammelte im urbanen Raum Wildpflanzen, vermehrte sie auf einer angemieteten Freifläche und siedelte sie wieder aus. Der Brache wiederum entnahm er andere Pflanzen, die er in der Stadt aussetzte. So beschleunigte er Wanderbewegungen und wirkte willkürlich gezogenen Grenzen für Lebensräume entgegen. Eine durchaus politische Konnotation dieser Bewegungen unterstreicht Weinberger in seiner Werkserie Portable Garden. Diese besteht aus mit Erde gefüllten PVC-Taschen, in denen von Wind und Tieren verstreute Samen eine Heimat finden. Die Behältnisse stellen einen Konnex zu Immigrant*innen her, die in diesen Kunststofftaschen oft ihr gesamtes Hab und Gut mit sich tragen. Hochhaus für Vögel ist ein Kommentar zum menschlichen Rationalisieren von Wohnraum, das der Künstler auf die Welt der Tiere überträgt – eine Kritik an der Unwürdigkeit von Lebensumständen, die dem Motiv der Effizienzsteigerung unterliegen. Im Ausstellungsraum lädt eine Leseecke dazu ein, Einblick in eine Auswahl aus Weinbergers Bibliothek zu nehmen und sein Interesse an disziplinübergreifenden Werken und ganzheitlichen Ansätzen nachzuvollziehen. Die Ausstellung ist bis 24. Oktober 2021 im B21 zu sehen.