Am Anfang war das Schwammerl

© Karin Hackl Photography

Vor sechs Jahren starteten Manuel Bornbaum und Florian Hofer mit der Austernpilzzucht in einem Keller in Wien Brigittenau. Mittlerweile ist das Start Up „Hut & Stiel“ in der kleinen Stadtfarm in der Donaustadt beheimatet. Dort wird Nachhaltigkeit im großen Stil gelebt. Ein Lokalaugenschein.

Idyllischer kann man sich einen Arbeitsplatz nicht vorstellen. Schon allein die Radfahrt zur kleinen Stadtfarm in der Nähe der Lobau hat etwas von einem Ausflug. Auf dem schmalen Weg wirbelt Laub, ein kleiner Marktstand bietet Säfte, Öle und Obst zum Verkauf, in der Koppel weiden Pferde und ein paar Katzen räkeln sich behaglich in der herbstlichen Nachmittagssonne.

Elena Anna Rieser

Austernpilze © Elena Anna Rieser

Manuel Bornbaum ist ziemlich beschäftigt: „Vor Weihnachten haben wir Hauptsaison“, erklärt er. Sein Mitarbeiter Oliver macht Pakete für den Versand fertig, in der Küche wird eingekocht. „Wir produzieren Pesto, Gulasch oder Würstel aus Pilzen und verkaufen sie über unseren Webshop oder ab Hof“, sagt der Hut & Stiel Mitbegründer während des Rundgangs durch die Produktionsstätte. In einem feuchtwarmen Raum lagern schwarze Säcke auf hohen Regalen. Darin befindet sich das Substrat für den Pilzanbau. „Es besteht fast zur Gänze aus Kaffeesud, der als Abfallprodukt der Gastronomie recycelt wird. Um ein ideales Wachstum zu gewährleisten werden dem Sud noch etwas Kalk und Kaffeebohnenschalen beigegeben. Dieses Gemisch wird dann mit der auf Hirse angesetzten Pilzbrut vermengt“, erklärt der Agrarwissenschaftler. Sobald das Substrat vollständig besiedelt ist, durchbrechen die Pilze die Plastikhülle. Für den Züchter ist das der Zeitpunkt, die Pilze in einen kühleren Nebenraum zu übersiedeln. Bei 15 Grad Celsius und leichtem Luftzug wachsen die Pilze dann gesund bis zur Ernte weiter. „Pilze liefern einen sehr hohen Ertrag pro Fläche, weil sie auf mehreren Etagen produziert werden können. Außerdem wachsen sie irrsinnig schnell, wir haben einen Erntedurchlauf von sieben bis acht Wochen und danach können auf derselben Fläche wieder neue Pilze angebaut werden. Der Jahresertrag pro Quadradmeter liegt bei 100 Kilogramm“, beschreibt Bornbaum.

Regional statt global

Die Idee zur Austernpilzzucht hatten die beiden Hut & Stiel Gründer Manuel Bornbaum und Florian Hofer vor sechs Jahren: „Unsere Vision war eine möglichst nachhaltige Kreislaufwirtschaft“. Die Idee mit dem Kaffeesud war dann der nächste Schritt. In Österreich werden pro Kopf und Jahr mehr als 1000 Tassen Kaffee getrunken, das entspricht etwa 7,3 Kilogramm Kaffee. Nach dem Aufbrühen des gemahlenen Kaffees landet allerdings nur 1% in der Tasse – die restlichen 99% bleiben als Kaffeesatz zurück und werden entsorgt. „Österreichweit sind das täglich 440 Tonnen, in Wien landen pro Tag etwa 100 Tonnen Kaffeesatz im Abfall“, sagt Bornbaum. Ein Teil davon wird bei Hut & Stiel wiederverwertet. „Wir bekommen den Kaffeesatz gratis von unseren Partnern, darunter die Erste Bank oder die Wiener Pensionistenhäuser”. Seit kurzem erhielt Hut & Stiel endlich auch die lang ersehnte Bio-Zertifizierung. Seit 2021 wird für die Pilzaufzucht nur noch  biologischer Kaffee verwendet.

Schwammerlkreislauf WEB

Vorhandene Ressourcen nutzen

Wiens Bevölkerung wächst stetig – und mit ihr wächst auch der Bedarf an Lebensmitteln. Austernpilze sind da eine ideale Ergänzung des Nahrungsangebots. Fleischlose Kost entspricht zudem dem steigenden Bewusstsein für die Umwelt und den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Die regionale Erzeugung und kurze Transportwege innerhalb Wiens bieten die Möglichkeit, die Produkte von Hut & Stiel klimafreundlich zuzustellen. Die Pilzmanufaktur versteht sich darüber hinaus als Schnittstelle zwischen nachhaltiger Produktion und einer sozialen und aufklärerischen Mission: „In Großstädten wie Wien leben Millionen Menschen inzwischen völlig losgelöst vom Lebensmittelsystem. Die wenigsten wissen, wie Landwirtschaft funktioniert“, sagt Bornbaum. Umso wichtiger sei es deshalb, die Bevölkerung einzubinden. „Wir gehen in Richtung Social Business und wollen auch noch mehr Arbeitsplätze schaffen. Es ist sehr schön, mitzuerleben, wie Menschen, die plötzlich mit ihren Händen arbeiten können, richtiggehend aufblühen“.

Darüber hinaus wird das Wissen über Pilzzucht auch in Workshops und bei Führungen vermittelt. Und momentan ist auch noch ein weiterer großer Schritt in Richtung Energieautarkie geplant: „Wir möchten eine Photovoltaikanlage auf unserem Dach anbringen. Dafür haben wir eine Crowdfunding-Aktion gestartet. Die Hälfte der Anschaffungskosten ist schon da”. Wer die Pilzzucht selbst ausprobieren möchte, kann bei Hut & Steil das Starterset „Pilz aus dem Kübel“ bestellen. Damit kann man den eigenen Kaffeesatz verwerten und Austernpilze darauf züchten.

Hut & Stiel