Reisen gehört zu den wenigen Dingen, die wir ausschließlich zu unserem Vergnügen machen. Zumindest fast, denn man will ja auch was Neues sehen, oder Altes, je nachdem. Und je mehr Menschen dabei involviert sind, umso komplizierter wird es. Wrexer* erinnert sich an eine legendäre Klassenfahrt nach Italien auf der die Interessen der Beteiligten ordentlich kollidiert sind: „Wir haben uns um 18 Uhr am Bahnhof in Wien getroffen. Unsere Vorfreude auf diesen „Schulurlaub“ war groß: Viele Jugendliche im Alter von 17 bis 19 Jahren, 14 Stunden Nachtzug – die Lehrer alle in einem anderen Wagon. Natürlich hatten wir alle was zum Trinken mit: Wodka in Mineralwasserflaschen, Bier in Apfelsaft-Tetrapacks, Beigetränke mussten nicht versteckt werden.
Wir bezogen unser Schlafabteil und schon wurde der erste Longdrink gemischt und getrunken. Wir wussten noch nicht, was uns am folgenden Tag erwarten würde. Wir fuhren also los, redeten über Lehrer, Erwartungen an die Reise, lustige Urlaubsgeschichten und spielten „Hosn Owe“. Der Alkohol floss in Mengen, die Zeit verstrich und draußen wurde es allmählich hell. Kurz vor Venedig kam mein ehemaliger Klassenvorstand zu uns, um uns zu fragen, ob wir ihn später auf eine Zigarette begleiten wollten. Für uns war er ein Held! Welcher Lehrer fragt seine Schüler, ob sie mit ihm die Reiseregeln (Kein Rauchen und kein Alkohol für Schüler) brechen wollen? Nach Venedig haben wir noch alles ausgetrunken, was vorhanden war. Niemand hatte geschlafen. Alle waren übernächtig und betrunken. In Rom angekommen, erwartete uns dann eine böse Überraschung.
Wir packten gerade unsere Sachen ein, als unserer Reiseleiter verkündete „Die Herberge ist am anderen Ende der Stadt, wir fahren mit dem Bus dorthin, geben unser Gepäck ab und starten dann gleich.“ Klingt doch harmlos! Wie angekündigt haben wir unsere Zimmer im Hotel bezogen (nicht natürlich ohne davor Zimmer getauscht zu haben, damit die Pärchen beisammen sein können, natürlich auch entgegen den Reiseregeln) und sind runtergegangen.
Vor dem Hotel wartete bereits unser Reiseleiter. Er war motiviert, Rom war seine Welt. Aber wer will es ihm verübeln, immerhin unterrichtete er seit über 20 Jahren Geographie und Geschichte. Der „Spaziergang“ durch die Stadt entpuppte sich als „Strafmarsch“. Von unserem Hotel gingen wir zur Spanischen Treppe. Und von dort zum Meer – und weiter zum Kolosseum. Dort blieben wir gefühlt stundenlang. Zumindest lang genug, dass ich mich oben bei der Tribüne in den Schatten setzen konnte, um zwei Stunden unbehelligt zu schlafen.
Irgendwelche Katakomben haben wir uns auch noch angesehen, welche es waren, weiß ich heute nicht mehr. Wir sind an einem Tag mehr oder weniger zwei Mal durch ganz Rom gegangen. Es war gefühlt der längste Spaziergang meines Lebens. Wir waren alle mehr als froh, wieder im Hotel zu sein. Die Lehrer haben uns dann den Abend freigegeben. Wir versammelten uns also und gingen Essen: Traditionelle italienische Pizza – und sechs Flaschen Wein. Immerhin war unterwegs keine Möglichkeit, eben mal schnell ein Reparaturbier zu trinken. Zum Schluss schlenderten wir noch durch die Stadt – frische Luft und das beste Eis meines Lebens – Champagner-Sorbée. Zurück im Hotel gingen wir alle auf unsere Zimmer. Niemand wollte noch reden oder eine rauchen gehen. Wir fielen ins Bett, da wir nicht wussten, welche Tortur der Reiseleiter für den nächsten Tag geplant hatte. Der Wein tat sein Übriges. Wir schliefen alle wie betäubt.”
Wrexer (Name geändert) ist Teilnehmer von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.