Wenn es darum geht, persönliche Grenzen zu ziehen, stoßen wir nicht selten an genau diese. Dennoch ist es wichtig, sich abzugrenzen. Es schützt vor Übergriffen und erleichtert das Leben. Darüber haben Valentina und Nala nachgedacht.
Valentina*: „Und wieder bin ich so klein. Wieder bin ich sieben und verstehe nicht, warum ich nicht atmen kann. Und du stehst wieder vor mir … Groß, dunkle Haare und dieselben Augen, die auch mein Gesicht schmücken. Dieselben Augen, die Mama zum Weinen bringen und sie daran erinnern, dass sie dich nie ganz aus ihrem Leben verbannen kann … Du stehst wieder vor mir und jedes Mal hoffe ich, dass es diesmal anders wird.
Seit Jahren haben wir keinen Kontakt mehr, trotzdem sehe ich dich überall. Und irgendwie ist es meine eigene Schuld, denn ich suche nach dir an jeder Ecke dieser Welt. Doch der einzige Weg, dir nah sein zu können ist, mich in dieselben Situationen von damals zu bringen. In jedem Leid sehe ich dich. In jeder Ablehnung spüre ich dich. Und in jeder Grenze die überschritten wird, stehst du wieder vor mir. Es ist schon fast lächerlich, dass ich all diesen Schmerz der Welt auf mich nehme, nur um dich für ein paar Minuten zu sehen, dir wieder nah sein zu dürfen.
Du hast mir etwas genommen, das ich nie ersetzen kann und trotzdem versuche ich, dich in jeder Person zu finden. Denn wenn es auch nur eine schlechte Kopie ist, ist es besser als nichts. Deswegen lasse ich alle Grenzen überschreiten. Es ist wie eine Sucht … Eine Sucht nach dir. Und alle, um mich herum sind nur Methadon.
Doch ich weiß deinen größten Anteil finde ich in mir selbst und das macht mir Angst“.
Nein sagen können
Nala*: „Meine persönlichen Grenzen hängen meistens von meiner momentanen Situation ab. Was ich an guten Tagen ,aushalte`, kann mich an schlechten Tagen ,killen`. Im Laufe des Lebens kristallisiert sich jedoch sehr wohl heraus, was geht und was gar nicht geht. Ich hatte früher große Probleme damit, anderen meine Grenzen aufzuzeigen. Heute ist dem nicht mehr so. Ich weiß, wer ich bin und was ich will. Aber manchmal ertappe ich mich selber dabei, meine Grenzen verschieben zu wollen. Manchmal brauche ich das vielleicht auch.
Wenn ich an meinen letzten Urlaub in Italien denke, denn sehe ich deutlich Gewitterwolken, Regen, Hagel auf der österreichischen Seite. Und gleich nach der Landesgrenze kam nach einem Tunnel auf einmal Sonnenschein. ,Komisch` dachte ich mir: Wie wenn das Wetter wüsste, dass da auf einmal ein anderes Land oder ein ,neuer` Abschnitt beginnen würde.
Ich bin schon in meiner Kindheit oft an meine Grenzen gestoßen und hatte so oft ein Problem damit gehabt. Das Gefühl von Scheitern machte sich oft breit in mir. Bis ins Erwachsenenalter ging das so. Heute ist es ein Privileg ,Nein` sagen zu können. Auch das Gefühl von ,Nicht genug probiert zu haben` fühlte sich wie Versagen an. Ich glaube es wird besser, wenn man älter wird. Auch das Gefühl von Grenzen aufzeigen ist mir sehr vertraut. Das war als Kind nicht immer schön, hilft aber beim Erwachsenwerden.
Ich habe auch kein Problem damit. anderen Menschen meine Grenzen aufzuzeigen oder ,Stop` zu sagen. Grenzen sind wichtig für uns und für andere. Trotzdem denke ich lieber an die Erfahrungen mit dem schönen Wetter am Weg in den Urlaub zurück. Ab der Grenze schien die Sonne!“
*Valentina und Nala (Namen geändert) sind Teilnehmerinnen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.