Gutes Bauchgefühl

Koop Akademie Prof20Reininghaus20072R c2a9Sissi20Furgler

Zusammenhänge zwischen dem Gehirn und der Leistung des Darms wurden schon vor vielen Jahren erkannt, dennoch wurde bislang dem Gehirn primär die Funktion des „Denkens“ und dem Darm die Funktion des „Verdauens“ zugeschrieben. Prof. Dr. Eva Reininghaus, MBA, Fachärztin für Psychiatrie an der Medizinischen Universität Graz und stellvertretende Klinikleiterin der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Graz erklärt den Zusammenhang zwischen Kopf und Bauch.

Access Guide Magazin: Was hat der Darm mit Depression zu tun?

Eva Reininghaus: In der landläufigen Meinung ist das Gehirn für´s Denken zuständig und der Darm für das Verdauen. Mittlerweile wissen wir aber, dass auch der Darm „mitdenkt“: Er enthält mehrere Millionen Nervenzellen. Das „enterische“ Nervensystem im Darm wird auch als „Bauchhirn“ bezeichnet. Es ist für eine Vielzahl von Aktivitäten zuständig, z.B. die Analyse der Nährstoffzusammensetzung, Koordination von Aufnahme und Ausscheidung unterschiedlicher Stoffe und Steuerung verschiedener Schaltkreise zum Transport der Nahrung. Außerdem kontrolliert das Bauchhirn das Gleichgewicht von hemmenden und erregenden Nervenbotenstoffen, z. B. von Serotonin oder Noradrenalin. Serotonin, unser „Glückshormon“, wird übrigens zu bis zu 95% im Darm gebildet. Kopfhirn und Bauchhirn stehen also auf viele unterschiedliche Arten in engem Kontakt, und zwar bidirektional: Diese Kommunikation in beide Richtungen funktioniert u. a. über Nerven, Blut und Hormone.

Access Guide Magazin: Wie wirkt sich Stress auf die Darmgesundheit aus?

Eva Reininghaus: Wir wissen inzwischen, dass Stress den Darm bzw. die Darmschleimhaut schädigt und diese durchlässig macht. Durch diese Schäden an der Darmschleimhaut wird auch das Mikrobiom – die Darmflora – in Mitleidenschaft gezogen. Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen weisen eine verringerte Vielfalt an Darmbakterien auf, wodurch die Produktion u. a. von Neurotransmittern verändert wird. Die Veränderung des Mikrobioms konnten wir in einer eigenen Studie an 32 PatientInnen mit bipolarer Störung nachweisen: Verschiedene Bakterienstämme waren im Vergleich zu psychisch gesunden Personen weniger häufig vorhanden, und je länger die Krankheit schon angedauert hatte, desto geringer war auch die Vielfalt des Mikrobioms. Man kann auf jeden Fall sagen, dass es eine Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und unserer Stimmung gibt.

Access Guide Magazin: Wie weit ist die Forschung auf diesem Gebiet?

Eva Reininghaus: Momentan wird Ursachenforschung betrieben. Eine zentrale Rolle dabei spielen chronische Entzündungen: Man geht davon aus, dass Phasen der Depression und auch der manisch-depressiven Erkrankung von einer „stillen“ Entzündung, aufrechterhalten und immer wieder ausgelöst werden können, sobald diese Entzündungen im Körper wieder aktiviert werden. Ein weiterer Faktor ist der Einfluss von Adipositas auf psychische Erkrankungen. In der Psychiatrie treten sehr häufig stoffwechselbedingte Begleiterkrankungen auf, viele Betroffene sind übergewichtig oder adipös, haben Diabetes oder leiden an Herz-Kreislauf-Problemen, und das liegt nicht nur an der Medikation. Es gibt Studien, die zeigen, dass junge Personen, die zu einer Risikogruppe für psychische Erkrankungen zählen, vermehrt übergewichtig sind und damit wahrscheinlich bereits die erwähnte „stille Entzündung“ haben, denn diese geht auch mit Adipositas einher. Deswegen vermutet man, dass sich die Entzündungsgeschehen von Übergewicht und psychischer Erkrankung gegenseitig verstärken: Man weiß beispielsweise, dass Personen mit manisch-depressiver Erkrankung, die zusätzlich übergewichtig sind, im Durchschnitt einen deutlich schlechteren Verlauf der psychischen Krankheit haben.

Access Guide Magazin: Können Probiotika Menschen mit Depressionen helfen?

Eva Reininghaus Während und häufig auch nach einer psychiatrischen Erkrankung leiden viele Patienten und Patientinnen an mangelnder Konzentrationsfähigkeit. Das ist vor allem auf dem Weg zurück in die Arbeitswelt ein großes Hindernis. Wir haben deshalb eine Pilotstudie durchgeführt, bei der wir 25 Betroffene mit einer bipolaren Erkrankung über drei Monate ein Probiotikum mit entzündungshemmenden Bakterienstämmen verabreicht haben. Die ProbandInnen befanden sich alle in der sogenannten euthymen Phase – also in einem neutralen Stimmungszustand. Zu Beginn, nach einem und nach drei Monaten der Probiotika-Einnahme haben wir unterschiedliche Gedächtnistests durchgeführt, und bei der Auswertung dieser hat sich gezeigt, dass sich die Leistung des Gehirns signifikant gesteigert hat – in einem Ausmaß, von dem ich selbst wirklich positiv überrascht war. Wir haben mit den Tests die Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und Problemlösungen, die Verarbeitungsschnelligkeit und die kognitive Flexibilität gemessen, und unsere PatientInnen haben in einigen Bereichen deutliche Verbesserungen gezeigt. Als positiver Nebeneffekt hat sich bei vielen Probanden außerdem die Verdauung subjektiv verbessert. Nach dem Erfolg unserer Pilotstudie haben wir zwei weitere Projekte gestartet. Die ersten Ergebnisse stimmen uns zuversichtlich, dass Probiotika möglicherweise einen positiven Einfluss auf psychische Erkrankungen haben können und möglicherweise auch die Gedächtnisleistung verbessern können. Das alles gilt es aber nun in groß angelegten Untersuchungen zweifelsfrei zu belegen.

 Access Guide Magazin. Danke für das Gespräch.