Leben ohne Zwänge

Pexels Nur Sakirah Abdul Rahman

„Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will“, postulierte der Philosoph Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert. Nein sagen-Können ist aber nur eine eingeschränkte Form der Freiheit. Im Gegensatz dazu ist das Ja-Sagen zu Möglichkeiten viel befreiender. Darüber haben die Teilnehmer:innen im jüngsten Schreibworkshop des Access Guide Magazins nachgedacht:

„Frei fühl ich mich immer dann, wenn ich keinen Druck verspüre, keinen Druck von meiner Last, meiner Last der Erkrankungen, die ich mit mir herumtrage. Frei fühl ich mich auch dann, wenn ich bei meiner „chosen familiy“ bin, bei meinen engsten Freunden, also den Menschen, die mich nicht nur so nehmen, wie ich bin, sondern mich auch lieben, wertschätzen und unterstützen. Wann fühl ich mich noch frei? Wenn ich selbständig, unabhängig und auch mal allein sein kann, fühle ich mich auch frei. Dysphorie ist für mich dagegen ein großer „Killer“ der Freiheit.

Freiheit bedeutet auch, mich so zu kleiden, wie es mir gefällt – ich sehe auch manchmal oder sogar oft so aus, wie ich das mag. Aber wenn ich raus aus dem Haus geh, raus aus meinem „safe space“ und es kommen die Blicke, die Bemerkungen und das große Unverständnis für mein Sein, für mich, mein Aussehen, meine Stimme, meine Kleidung – dann hab ich manchmal das Gefühl, ich werde nie wirklich frei sein. Das sagt jedenfalls der Jugendliche in mir, der verängstigt und traurig ist. Meine Hoffnung sagt: Ich kann frei sein. Frei von dem Glauben, dass alles, was mich ausmacht, schlecht ist“, schreibt Stevie*.

„Wir sind so frei und doch auch nicht. Geräusche sind laut, sie schränken mich ein. Jedes abrupte Geräusch löst Schrecken aus. U-Bahnfahren macht Stress, aber ich muss es jeden Tag tun. Zu Hause angekommen, so erschöpft, so müde. Weg ist die Freiheit, will nur in mein Bett, nur unter die Decke. Nicht mehr raus ins Freie. Ich will so viel Zeit wie möglich im Schutz der eigenen vier Wände bleiben. Immerhin die Katzen freuen sich über meine Gesellschaft. Oscar kommt kuscheln, liegt unter meiner Decke – so wie jeden Tag. Ich will mich bewegen, will mich richtig auspowern – aber draußen sind zu viele Menschen, zu viel Lärm, zu viele Lichter, zu viele Gerüche.

So sitze ich wieder vor meinem Rechner und zocke, manchmal allein, manchmal mit Freunden. Online bleibe ich in Kontakt mit ihnen, verbringe Zeit mit ihnen. Persönlich sehen wir uns alle nur selten. Ihnen geht es ähnlich wie mir. Sie wiegen sich in Sicherheit in ihrem eigenen Heim – ohne andere Menschen, ohne Lärm. Die Stadt ist zu laut. Wir alle leiden darunter. Jeder ist frei, aber irgendwie auch keiner. Der Konsum ist groß, die Nächstenliebe klein. Alle versuchen zu überleben. Kaum einer lebt noch.

Ich wäre gerne wieder ein Kind. Sorgenfrei durchs Leben. Nachmittags im Garten. Am Wochenende Abenteuer erleben. Nach der Schule noch ein Eis essen. Viel zu nah vorm Röhrenfernseher auf der PS2 und dem Gamecube zocken. Mit meinem Bruder über Kleinigkeiten streiten. Von meiner Mama bekocht werden. Meine Freunde in der Schule sehen. Damals war ich frei. Damals war das Leben schön“, fasst Kim* ihre Überlegungen zum Thema „Freiheit“ zusammen.

Für Carnikos* bedeutet Freiheit, ohne Einschränkungen zu leben: „eigene Entscheidungen treffen zu können, ins Ausland zu fahren, in einer Welt ohne Grenzen zu leben. Frei fühle ich mich in der Natur, da bin ich „frei wie ein Vogel“, wenn ich mich im Freien erhole, wenn ich meinen Freiraum habe und auch wenn ich mit meinen Tieren spiele.

Tom Jock* setzt Freiheit mit Familie gleich: „Ich fühle ich frei, wenn ich im Wald bin. Das Gefühl der Freiheit verspüre ich auch auf Konzerten. Freiheit bedeutet für mich loszulassen. Die Zeit, in der ich meine Mutter pflegte, war schwierig und Freiheitsberaubend, aber ich machte es gerne für sie. Bei gewissen Gerichten fühle ich mich frei und glücklich, da sie mich an schöne Zeiten erinnern. In der Vergangenheit war ich von Leuten umgeben, die versucht haben, mir meinen Freiraum und somit meine Freiheit zu nehmen. Wenn ich mir die Zeit nehme, um einfach mal alles Revue passieren zu lassen, ist das Freiheit. Früh morgens der erste Schluck Kaffee fühlt sich für mich wie die Erlösung des schläfrigen Körpers an, der sich von den Fesseln der Müdigkeit befreit. Die Turbobande brachte mir Freiheit zurück“.

Nino* erinnert sich beim Thema „Freiheit“ an ein einschneidendes Erlebnis, dass er mit 18 Jahren hatte: „Damals durfte ich wieder legal Urlaub machen, real wurde das aber erst dann für mich, als ich den Brief bekam, in dem das Schwarz auf Weiß stand. Besonders am Anfang zerrte die Wohngemeinschaft an meinen Kräften und machte mich müde. Die Betreuer fand ich eigentlich sehr cool, ein paar von ihnen mochte ich besonders gerne. Im Grunde waren die meisten der Betreuer korrekt. Mein Problem war, die Betreuer auch als Freunde zu sehen, weil ich selbst nicht viele hatte und mit den letzten habe ich es mir auch verscherzt, die ghosten mich jetzt. Immer wenn ich etwas mit X ausgemacht habe, konnte er plötzlich nicht. Dabei hatte ich mir extra Zeit für ihn genommen. Ich denke nicht, dass er noch so viel mit mir machen möchte.

Wie geht es beim Football weiter, werden mich die Coaches einsetzen, werden ich überhaupt Spielzeit bekommen? Wie soll ich dann Leistung zeigen? Wenn ich allein mit meinem Bike unterwegs bin, fühle ich mich auch frei.

Mit 18 musste ich endlich nicht mehr in der WG sein, da fühlte ich mich erstmals frei. Genauso wie in dem Sommer, in dem meine psychische Gesundheit viel besser wurde und jetzt hoffe ich, es bleibt so. Ich bin sehr dankbar für alles, was meine Therapeuten für mich getan haben, die waren echt eine sehr wichtige Stütze auf meinem Weg zur Freiheit.“

*Namen geändert