In Österreich liegt die Selbständigen-Quote bei rund zehn Prozent. Darunter sind nur sehr wenige Menschen mit Behinderung: Laut Schätzungen des ÖZIV sind es landesweit lediglich 2000 Unternehmer:innen. „Es könnten aber viel mehr sein“, weiß Rudolf Weissinger aus seiner täglichen Arbeit. Er ist Gründungsberater bei Wien Work.
„Seit 2016 haben wir pro Jahr ungefähr 80 Personen im Hinblick auf eine mögliche Selbständigkeit beraten. Davon haben sich 60% für eine Trafikübernahme interessiert und 40% wollten ein anderes Unternehmen gründen“, sagt Weissinger. In den vergangenen acht Jahren kam es zu insgesamt 159 Unternehmensgründungen, 119 davon waren Trafiken. Das große Interesse an Trafiken kommt nicht von ungefähr, bieten sie doch zahlreiche Chancen, wie den Einstieg in ein bestehendes, funktionierendes Geschäftsmodel mit einem gut kalkulierbaren Einkommen.
Maziar Teymur hat über Wien Work den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und Ende 2023 seinen „Cigar, Tobacco & Vape Shop“ im siebten Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Bei einer Wien Work-Informationsveranstaltung erzählte er im Vorjahr, wie es dazu kam: „Nach meinem Wirtschaftsstudium war ich jahrelang als Sales Manager im Medizinbereich tätig. Dann habe ich als Folge einer Autoimmunerkrankung eine Niere verloren und bin seitdem drei Mal pro Woche zur Dialyse im Krankenhaus. Mit der Managerkarriere war es vorbei.“ Durch Zufall erfuhr Teymur, dass er als Dialysepatient Anspruch auf einen Behindertenpass hat und damit auch die Möglichkeit, eine Trafik zu übernehmen. Mit Unterstützung von Wien Work ist ihm das schließlich auch gelungen.
Die Vergabe der Trafiken durch die MVG – Monopolverwaltung hat eine lange Tradition. Sie geht zurück auf eine sozialreformerische Idee von Kaiser Josef II. vor 239 Jahren. 1784 gründete der Monarch das Tabakmonopol, um die – durch den Krieg – leeren Staatskassen zu füllen. Gleichzeitig traf er eine Entscheidung, die heute gesetzlich verankert ist und weltweit als vorbildhaftes, inklusives Arbeitsmodell gilt. Josef II. beschloss, die Führung der Trafiken den Kriegsinvaliden und Kriegerwitwen vorzubehalten. Im Jahr 1979 wurde der Kreis der Berechtigten um die Zivilinvaliden erweitert. Und heute, wird – abgesichert durch eine Novelle des Tabakmonopolgesetzes im Sommer 2023 – jeder freiwerdende Trafikstandort an Menschen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent vergeben.
Wege in die Selbständigkeit
Die Entscheidung für eine Selbständigkeit ist nicht immer freiwillig, sondern häufig das Ergebnis einer langen, erfolglose Suche nach einem Job im Angestelltenverhältnis. Hemmnisse für Unternehmensgründungen gibt es viele: „Da ist generell die finanzielle Unsicherheit, die fehlende Finanzierung, zu viel Stress, das Risiko, die Verantwortung oder auch die geringe soziale Absicherung“, erklärt Rudolf Weissinger. Bei Menschen mit Behinderung käme außerdem noch der gesundheitliche Aspekt dazu. Dennoch bietet eine selbständige Tätigkeit auch viele Vorteile wie freie Zeiteinteilung und Flexibilität. „Um mehr Menschen mit Behinderung in die Selbständigkeit zu bekommen, wäre es wichtig die Gründungsförderungen zu aktualisieren“, meint Weissinger. Die Förderungen seien momentan nämlich zu wenig treffsicher. Sinnvoll wären beispielsweise günstige Startkredite.
Herausforderung Neubeginn
Dass es für Menschen mit Behinderungen auch andere Formen der Selbständigkeit gibt, als die Übernahme einer Trafik, beweist Gabriel Tschurtschentaler. Der Südtiroler ist gelernter Maschinenbauer und hat eine Seheinschränkung: „Bis zu einem gewissen Punkt konnte ich in meinem erlernten Beruf arbeiten, aber mit dem Fortschreiten der Krankheit ging das nicht mehr. Ich bin sehr sportlich und habe mich dazu entschieden eine Heilmasseurausbildung zu machen“, erzählt Tschurtschentaler. Eine Ausbildung zum medizinischen Masseur, extra für Sehbehinderte, gibt es aber nur in Wien. „Der Umzug war zwar eine Herausforderung, aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe“, erzählt er. Nach Abschluss der Ausbildung war Tschurtschentaler eine Zeitlang als Heilmasseur angestellt. Dann verstarb sein Blindenhund und der Weg in die Arbeit war für ihn allein nicht mehr zu schaffen. „So bin ich notgedrungen in die Selbständigkeit gekommen“. Neben seiner Tätigkeit als Masseur ist der Südtiroler außerdem noch als Forstwirt tätig: „Dafür war es notwendig, mir ein gutes Netzwerk aufzubauen. Ohne Mitarbeiter, denen ich vertraue kann, würde es nicht funktionieren“, sagt Tschurtschentaler.
Mut zum Ja-Sagen
Heidemarie Egger ist Kommunikationsberaterin und Leiterin des Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen im Österreichischen Behindertenrat. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf den Themen Inklusion und Feminismus: „Das Leben als Frau mit Behinderungen hat mich radikalisiert“, sagt Egger. Nach vielen Jahren aktiver Arbeit zum Thema Behinderung in Wirtschaft und Interessenvertretung sieht Egger viele wiederkehrende Probleme, die schon längst hätten gelöst werden können, aber es gebe auch viele die „bereit sind, sich für echte Inklusion einzusetzen und sich nicht mit einem metaphorischen Taferl mit der Aufschrift „Diversity“ begnügen“, so Egger.
Menschen, die sich selbständig machen wollen, empfiehlt Egger auch über die Work-Life-Balance nachzudenken und Ausgleich einzuplanen. „Wer sich mit Terminen überfrachtet, ist nämlich schnell überfordert.“ Es sei wichtig, immer wieder Punkte zu setzen um zu reflektieren, was gut läuft und was weniger gut läuft. „Ich persönlich habe eine sehr große Klarheit über meine Fähigkeiten und Möglichkeiten. Ich schaue mir sehr genau an, welche Aufträge zu mir passen und ob sich der Aufwand lohnt“. Einen Vorteil der Selbständigkeit sieht Egger in der flexiblen Zeiteinteilung und dass sie meist vom Home Office aus arbeiten kann. „Ich leite aber auch viele Workshops außer Haus.“ Was ihr von Anfang an geholfen habe, sei ihr gutes Netzwerk: „Wenn ich z.B. für einen Moderationsjob ausfalle, kann ich in einer halben Stunde Ersatz organisieren“, sagt Egger.