Literatur im Gepäck

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Was verbindet die Studentin Lina, die im Jahr 1956 einen abenteuerlichen Roadtrip durch die Sowjetunion unternimmt und die namenlose Content-Arbeiterin aus der Gegenwart, die mit sinnentleerten Artikeln ihren Lebensunterhalt bestreitet? Die beiden Frauen sind die Hauptfiguren in zwei großartigen Romanen, die heuer erschienen sind: Die Redaktion des Access Guide Magazins hat die Bücher bereits gelesen.

Arbeiten im Bergwerk: Elias Hirschls neuer Roman handelt an einem düsteren Ort in einer dystopischen Landschaft. Auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks steht die Contentfarm „Smile Smile“. Dort wo früher Kohle abgebaut wurde, wird nun Content produziert. Die Ich-Erzählerin erstellt sogenannte Listicles um Clicks zu generieren: „Während ich die Top 15 der tödlichsten Flugzeugabstürze zusammenfasse, filmt sich Marta hinter mir, wie sie sich mit Klebstoff die Zähne putzt. Während ich die Top 7 der grusligsten iranischen Volksmärchen aufliste, macht Yusuf ein Close-up-Video davon, wie er sich lasziv stöhnend eine Glatze rasiert. Cory filmt eine Wassermelone in der Mikrowelle, eine Orange in der Mikrowelle, ein Nokia 3310 in der Mikrowelle, ein iPad in der Mikrowelle, eine kleinere Mikrowelle in einer größeren Mikrowelle.“

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Leben am Abgrund

Die Ich-Erzählerin hat sich bereits mit der Absurdität ihrer Tätigkeit abgefunden. Ihre Kollegin und Freundin Karin versucht dem Ganzen immer noch einen Sinn abzutrotzen. Allerdings verliert sie darüber den Verstand. Über all dem schwebt ständig das Damoklesschwert des Jobverlusts – es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Content-Arbeiter:innen durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. Auch privat lebt die Erzählerin am Abgrund der Vorläufigkeit: Mit ihrem Freund Jonas verbindet sie ein eher gleichgültiges Verhältnis. Er weint viel – vor allem nach dem Sex – und gründet ständig neue Start ups, mit denen er zuverlässig scheitert. Seine Devise ist „Try again, fail again, fail better“. Einmal startet er mit einem Lieferdienst und ist überzeugt: „Wir müssen den Kunden die Produkte liefern, bevor sie sie bestellen. Bevor sie überhaupt wissen, dass sie sie bestellen wollen“. Während die Protagonist:innen versuchen, eine gewisse Routine aufrechtzuerhalten, löst sich die Welt draußen – und drinnen – auf.

Aus den Kohlenschächten über denen die Contentfabrik liegt, muss ständig Wasser abgepumpt werden. „Das Problem ist, dass man nach Jahrhunderten des Stollengrabens den Überblick über die Grabungen verloren hat (…) Gäbe es die Ewigkeitspumpen nicht, wäre aus dem ganzen Landstrich schon längst eine einzige Seenplatte geworden, und selbst mit den Pumpen wird das früher oder später der Fall sein“. Neben Wassereinbrüchen erschüttern auch regelmäßig Erdbeben die kleine Stadt. Alles scheint auf eine Apokalyptische zuzusteuern. Nach einer Ransomware-Attacke auf das Büro, werden auch die Social-Media-Accounts der Ich-Erzählerin gehackt. Vom Computer ihrer Kollegin aus, verfolgt sie ihr virtuelles Double.

Trotz all dieser Schreckensszenarien, ist „Content“ kein reiner Horrorroman. Es gibt sehr viele satirische Elemente. Das Buch ist politisch, prophetisch und zumindest so lange lustig, bis einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Elias Hirschl zeichnet in seinem Roman „Content“ ein Sittenbild der Generation ChatGPT.

Elias Hirschl wurde 1994 in Wien geboren. Er ist Autor, Musiker, Slam Poet und schreibt für Theater und Radio. 2020 erhielt er den Reinhard-Priessnitz-Preis. Bücher u.a.: „Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt“ (2016), „Hundert schwarze Nähmaschinen“ (2017) und bei Zsolnay die Romane Salonfähig (2021) und Content (2024).

Roadtrip durch die Sowjetunion

„Die Heimreise“ ist die berührende Hommage Vladimir Vertlibs an seine Mutter, eine kämpferische Frau mit unverwüstlichem Humor, und zugleich eine gnadenlose Satire auf die Absurdität der sowjetischen Diktatur in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Lina, eine junge Studentin aus Leningrad, die der Mutter des Autors nachempfunden ist, leistet im Sommer ihren verpflichtenden Arbeitsdienst im fernen Kasachstan, als sie eine Nachricht von zu Hause erreicht. „Vater schwer krank! Komm rasch! Rückreise von Hochschule bewilligt.“

Die Heimreise

Unterwegs in der UdSSR

Es ist bereits September, und die Steppe um die Sowchose, wo Lina arbeitet, versinkt im Schlamm. Bis zum nächsten Bahnhof sind es hunderte Kilometer. Das Schädlingsbekämpfungsflugzeug, das Lina mitnehmen soll, verpasst sie knapp. Ein Traktorfahrer, der sie vom Flugplatz zum Bahnhof mitnimmt, belästigt sie sexuell. Als sie sich gegen seine Zudringlichkeiten wehrt, setzt er sie an einem toten Bahngleis ab. Dort hält aber überraschenderweise doch ein Geisterzug mit einer trinkfreudigen Theatertruppe an Bord und Lina kann weiterfahren.

Im Zug befreundet sich Lina mit Rauschan, die eigentlich Greta heißt und mit dem Pass einer Toten unterwegs ist. Die Reise wird zur Flucht: Überall treffen die beiden jungen Frauen auf Hindernisse und Hürden. Als Frau und Jüdin hat es Lina besonders schwer, denn die Sowjetunion war geprägt von Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit. Der Roman Vertlibs ist aber keine Anklage, sondern hat auch viele witzige Höhepunkte, wie etwa die Einweihung einer tschechischen Bahnhofstoilette, die kurz nach ihrer Inbetriebnahme vom Mob verwüstet wird. Und Vladimir Vertlib gelingt es – wie in all seinen Romanen – einen versöhnlichen Kurs zu verfolgen. Die Heimreise ist im Residenzverlag erschienen.

Vladimir Vertlib, geboren 1966 in Leningrad. 1971 emigrierte die Familie nach Israel, dann nach Italien, Holland und die USA, bevor sie sich 1981 in Österreich niederließ. Er lebt seit 1993 als Schriftsteller in Salzburg und Wien. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Essays sowie zahlreiche Artikel. 2001 erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis sowie den Anton-Wildgans-Preis. Vertlib schrieb u. a. den Roman „Lucia Binar und die russische Seele“, der 2015 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand, im Residenz Verlag „Zebra im Krieg“ (2022) und „Heimreise“ (2024).