Was man von hier aus sieht

Briefkasten © rusalka

Im Juni startete ein Fotowettbewerb unter dem Motto „Mein Grätzl und ich“. Initiiert wurde er vom GB*Stadtteilmanagement Atzgersdorf. Die Teilnehmer:innen der jüngsten Medienwerkstatt des Access Guide Magazins haben mitgemacht. Simon, Schwief und Riley erkundeten dafür den Friedhof in Atzgersdorf.

Simon*: „Stille. Eigentlich nicht wirklich. Der Wind rauscht in den Blättern, Vögel zwitschern, Grillen zirpen. Die Bäume spenden Schatten, es gibt Bänke zum Ausruhen und um die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Es gibt zwar Spuren von wilder Natur, aber sonst ist hier alles geordnet. Gerade, schachbrettartige Wege. Bäume unterbrechen die Anordnung abwechselnd mit Büschen in exakt geregelten Abständen. Sie bieten Schutz vor der beißenden Juli-Hitze.

Unterschiede und Variationen, gleich dem näheren Kennenlernen von Personen. An einer der Hauptkreuzungen fällt mir ein riesiges, goldenes Monument der Kreuzigung auf. Diese Ironie ging nicht an mir vorbei.

Dazwischen auf den Feldern des Schachbrettes stehen unzählige Grabsteine, wie Türme. Letzte Erinnerungen an zahllose, vergangene Leben. Manche simpel und gepflegt, andere ein wenig verwahrlost. Manche prunkvoll, bombastisch und kreativ. Grabsteine für Einzelpersonen oder Familien. Manche sind umgefallen. Einige sind auch Soldaten des ersten Weltkriegs gewidmet.

Die Gräber spiegeln auf ihre eigene Weise das menschliche Dasein wider. Auf den ersten Blick wirken sie alle gleich. Bei näherer Betrachtung erkennt man aber doch so viele Unterschiede. (Bild ganz oben: Friedhof Atzgersdorf © Simon. Alle weiteren Bilder die während der Fotoexkursion entstanden sind, werden erst nach dem Ende des GB*-Fotowettbewerbs veröffentlicht.)

Schwief*: „Die Bäume rauschen auch hier im Wind, als wäre es kein besonderer Platz. Von weit weg flüstert der Verkehr. Spatzen verstecken sich vor der Hitze in den wispernden Zweigen.

Wie viele Menschen wohl hier liegen? Wie viel wohl noch von den sterblichen Überresten bleibt, wenn der rote Aufkleber an Marmor oder Granit haftet. Die Natur holt sich alles zurück, was der Mensch nicht erhält: Zersprungene Steine, wie lose Zähne in einem Gebiss. Kannelierte Säulen als Ameisen-Wege. Efeu, der alles umarmt, was ihm in den Weg kommt.

Die Gräber stehen in Reih und Glied, aber doch so unterschiedlich, wie die Menschen, die die Inschriften in Auftrag gegeben haben. Wie lange dauert es, bis die Erinnerung nicht mehr schmerzt? Wie lange, bevor man vergessen wird? Bis man nur noch Nahrung für die Baumwurzeln ist?“

Riley*: „Denke ich an Menschen in Atzgersdorf, dann fallen mir als erstes diejenigen ein, die in diesem Stadtteil leben. Viele vergessen aber jene Menschen die schon von uns gegangen sind. Die schon lange keine Sonne mehr gespürt haben oder den Wind im Sommer. Das fällt mir auf dem Friedhof ein. Ich sehe Schmetterlinge über einem Lavendelbusch flattern. Jeder einzelne hat etwas an sich, dass so etwas wie Hoffnung mit sich bringt. Auch die Hoffnung darauf, dass ein geliebter Mensch vielleicht wieder geboren wird. Dass man einander trifft, ohne es zu wissen“.

Veranstaltungstipp: Am 25. Juli 2024 findet von 16-18 Uhr ein Fotospaziergang zum Wettbewerbsthema „Mein Grätzl und ich: Atzgersdorf im Blick” statt. Dabei kann man sich wertvolle Tipps für das perfekte Fotomotiv holen und den einen oder anderen Trick kennenlernen. Treffpunkt: GB*Stadtteilmanagement, Scherbangasse 4, 1230 Wien. Bitte um Anmeldung bis 22.7.2024 online, per E-Mail an suedwest@gbstern.at oder telefonisch unter +43 1 893 66 57.

*Namen geändert