Die Wiener Mobilitätsagentur hat viele Tipps für Spaziergänge, Wanderungen und Fahrradtouren in und um Wien. Die Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen, haben sich im Rahmen des Sommerschwerpunkts „Gehen“ fünf Routen davon genauer angeschaut. Alma* und Dora* waren gemeinsam unterwegs:
„Unser Stadtspaziergang begann im schönen 18. Bezirk in der Währinger Straße bei der Volksoper. Dort hatte ich plötzlich Gänsehaut, weil ich einiges mit dieser Gegend verbinde. Als Jugendliche wurde ich im AKH auf der Kinder- & Jugendpsychiatrie stationär aufgenommen. Dort wurden soziale Angst/Phobie diagnostiziert und ich verbrachte deswegen sehr viel Zeit in Währing und rund ums AKH. Dennoch möchte ich diese Zeit nicht missen, weil ich genau dort angefangen habe, mein Herz für den sozialen Bereich zu entdecken, weil mir geholfen, als ich mir selbst nicht mehr helfen konnte. Ich kann mich noch an die Ausflüge in den 18. Bezirk erinnern und die kleinen Spaziergänge durch Währing oder an die Besuche meiner Familie. In dieser Gegend steckt viel von meiner Jugendzeit drinnen. Und ich glaube der Ort hat auch ein klein wenig dazu beigetragen, dass ich wurde, wie ich bin.
Aber zurück zu unserem Spaziergang. Wir gingen von der Volksoper hinunter am WUK vorbei, einem Kulturort, an dem ich viele Konzerte und Tanzabende mit Freunden besuchte. Unser Weg ging weiter entlang einiger Universitätsgebäude, darunter das der Fakultät für Publizistik & Kommunikation. Entlang der Route gab es auch einige kleine Boutiquen und einen niedlichen Vintage-Laden. Wir querten die Berggasse und einen Häuserblock weiter tauchte die Votivkirche in voller Pracht auf und erinnerte mich an das Jahr 2019, als die Regenbogenparade bei der Votivkirche startete. Wir entdeckten auch das Denkmal von Sigmund Freud auf dem stand ‚Die Stimme des Intellekts ist leise‘. Wie wahr!
Weiter ging es Richtung Schottenring. Im ersten Bezirk habe ich während meiner Schulzeit viel Zeit verbracht, weil meine Mutter dort arbeitete. Beim Schottenring angekommen, mussten wir unseren Plan zur Hilfe nehmen, um heraus zu finden, wie wir am besten zum Yppenplatz in den 16. Bezirk kommen. Mit der Straßenbahn fuhren wir bis zum Rathaus, von wo aus wir in angenehmem Tempo durch den 8. Bezirk Richtung Yppenplatz spazierten. Wir waren gemütlich unterwegs, ohne Stress. Es war einfach angenehm zu plaudern, sich auszutauschen und durch die Stadt zu flanieren und diese auch richtig wahrzunehmen. Kurz vorm Ziel hielten wir bei einem Supermarkt an, um uns ein bisschen zu stärken. Am Yppenplatz angekommen hatten noch einige Marktstände auf, andere waren schon zu. Dora erzählte mir, dass sie in der Yppengasse zur Floristin ausgebildet wurde. Das war wunderschön zu hören denn, wenn man Dora* kennt, weiß man wieviel Herzblut sie in ihren Beruf steckt. Bei der Rückfahrt ins Kursinstitut waren wir einfach nur noch platt und schwiegen die ganze Fahrt über. Es war aber ein angenehmes Schweigen, weil wir uns miteinander wohlfühlten. Das fand ich richtig schön.
Bei unserem Stadtspaziergang ist mir wieder klargeworden, was für eine wunderschöne Stadt Wien ist – mit all ihren Ecken und Kanten. Oft glaube ich nämlich, dass ich mit meinen 27 Jahren schon alles in Wien gesehen habe. Aber dem ist nicht so, wenn man in Ruhe durch die Stadt flaniert. Dora war bei diesem Spaziergang eine große Bereicherung. Wir konnten uns beim gemeinsamen Gehen noch näher kennenlernen und Geschichten von früher erzählen die mit den jeweiligen Orten zusammenhängen an denen wir waren. Das waren schöne Stunden mit einer Person die ich als Eranos-Kurskollegin sehr schätzen gelernt und liebgewonnen habe und bei der ich mich gut aufgehoben fühle“.
And I would walk 500 miles, And I would roll 500 more
„Erinnerungen“ beschreibt für Dora den gemeinsamen Spaziergang mit Alma am besten: „So schmerzhaft die Erinnerungen auch waren, so bewältigbar waren sie auch. Gänsehautgefühl, Emotionsachterbahn und tiefgründige Gespräche waren unsere Begleiter. Geleitet von unserer Erinnerung und Neugier suchten wir uns unbekannte Gassen und Wege. Kleine Orientierungspunkte wie zum Beispiel das AKH oder die Gleise der U6 waren immer in unserem Blickfeld.
Im Rausch der Erinnerung war es uns auch möglich, die kleinen aber auch großen Veränderungen in unserer Umgebung wahrzunehmen. Die Geschäfte aus früheren Zeiten, die jetzt nicht mehr existieren, dann wieder Altbekanntes, das überlebt hat. Frisch und lebendig kam mir speziell die Währinger-Straße vor. Das kann aber auch daran liegen, dass mein letzter Besuch hier schon Jahre zurückliegt. Eine weitere Entdeckung war, dass die Stadt doch grün ist. Zwischen grauen Betonmauern kämpfen sich überall starke, junge Pflanzen durch, um ihre volle Schönheit zum Vorschein zu bringen. Leuchtende Farben hier und da. Prachtvoll angelegte Straßenbegrünungen, die eine botanische Wegleitung für die Autofahrer sind und außerdem dem stressigen Wuseln eine leichte Entschleunigung geben.
Im Arne Karlson Park weckte etwas hinter Bäumen Verstecktes meine Aufmerksamkeit. Ein Graffiti mit vertrockneten Rosen war mein erster Gedanke. Doch als sich das Bild mehr und mehr zeigte, war ich überwältigt: Zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, die nebeneinander sitzen, mit einem Bund Rosen in der Hand. Es gibt selten Graffitis, die gut gemacht sind und auch noch sagenhafte Kunstwerke sind, aber dieses hat mich ergriffen.
Während unserer Pause im Votivpark habe ich die Menschen, die vorbeigingen aus dem Augenwinkel beobachtet: Business Leute, die ihre Pause genossen oder Studenten, die sich ins Grüne legten und entspannten. Alma und ich genossen unsere kleine Rast ebenfalls: Es ist ein sehr schönes Gefühl, jemanden zu haben, mit dem man über alles reden kann – egal ob Belangloses, Lustiges oder auch Ernstes. Durch unsere gute Laune und unsere Neugierde geleitet, haben wir immer wieder etwas Neues entdeckt. Im Rückblich waren es die Gespräche mit Alma, die mich ganz besonders berührt haben. Zu merken, dass egal wie schwer der Weg auch ist, er mit dem richtigen Menschen meisterbar ist. Auch das Gefühl nicht alleine mit seinen Problemen zu sein, sondern dass es jemanden gibt, der ganz genau nachfühlen kann wie es dem anderen ergangen ist. Das große Verständnis für einander war für mich während des gesamten Spaziergangs spürbar. Das war schön.“
Die gesamte Route vom Julius Tandler Platz zum Yppenplatz gibt es hier.
*Namen geändert