Rund 80.000 Menschen in Österreich leben mit Autismus. Für junge Menschen im Autismus-Spektrum gibt es aber nicht genügend Schulen und Förderangebote, kritisiert die Diakonie anlässlich des UN-Autismus-Tags am 2. April. „Damit sich junge Autisten mit ihren Fähigkeiten und Besonderheiten gut entfalten können, braucht es Pädagoginnen und Pädagogen, die Autismus verstehen“, fordert Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser. An der Diakonie Schule Evangelisches Realgymnasium Donaustadt (ERG) können Autistinnen und Autisten gemeinsam mit anderen Kindern und Jugendlichen lernen und werden dabei von geschultem Personal unterstützt. „Junge Autistinnen und Autisten brauchen ein Gegenüber, das sensibel dafür ist, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen und soziale Begegnungen verarbeiten“, sagt Moser. Inklusion beginnt mit gegenseitigem Verständnis und soll vom Leitsatz „So viel gemeinsam, wie möglich, so viel differenziert, wie nötig“, geprägt sein, so die Diakonie Direktorin. „Im Grund gilt für Autisten und Autistinnen dasselbe wie für alle Schüler und Schülerinnen: Das einzelne Kind in seiner Individualität muss im Zentrum stehen.” Um dies an mehr Schulstandorten in Österreich möglich zu machen, „muss die Schulassistenz ausgebaut werden“, so die Diakonie Direktorin. Die Aufgaben der Assistenz sind so vielfältig wie die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler. Sie umfassen Hilfestellungen im konkreten Schullalltag und reichen bis zur Unterstützung im Klassenverband.
Gemeinsam lernen
Der zehnjährige Justus (im Bild) kann vieles sehr gut – rechnen zum Beispiel, oder basteln. Manches kann er nicht so gut, zum Beispiel in der Pause spontan neue Freundschaften knüpfen. Justus ist Asperger-Autist. „Justus sind andere Menschen sehr wichtig, aber es ist schwierig für ihn, es zu zeigen“, sagt seine Mutter Gudrun Senk. Als Justus an seine neue Schule gekommen ist, hat er sich anfangs „ein bisschen Sorgen gemacht“, erzählt er. „Aber ich habe eine Zeitung gebastelt und die habe ich an meine Mitschülerinnen und Mitschüler verteilt. In der ganzen Schule! So haben mich alle kennengelernt.“ Justus kommuniziert anders. „Im Pausenraum ein Gespräch eröffnen, das kann Justus nicht so gut. Dafür kann er eine Zeitung schreiben und verteilen und so in Kontakt kommen“, sagt seine Mama. Als Justus seine Zeitung in der ganzen Schule verteilte, hörte er nicht „Was tust du da? Geh in deine Klasse!“ Wenn es ihm zu laut wird, weiß er: Es gibt Schallschluck-Kopfhörer, die er aufsetzen kann. Hier ist das in Ordnung, wenn er die Dinge so macht, wie es für ihn passt. Hier sieht er: Jeder und jede hat andere Stärken und Herausforderungen. Hier hat er seine beiden besten Freunde gefunden. „Justus bekommt hier, was er braucht, um er sein zu können“, sagt seine Mama Gudrun Senk.
„Wir wissen heute viel mehr über das Autismus-Spektrum als noch vor ein paar Jahren“, sagt Pädagoge Dominik Alturban vom ERG Donaustadt der Diakonie, der sich intensiv mit Autismus beschäftigt. Trotzdem fehle in Schulen oft das Verständnis dafür, was Inklusion im Schulalltag bedeutet. „Wenn eine Schülerin im Autismus-Spektrum eine Schularbeit schreibt und dafür mehr Zeit bekommt, weil sie die auch braucht, oder die Arbeit in einem eigenen Raum schreiben darf, um störende Nebengeräusche auszublenden zu können, heißt es auch heute noch oft: Das ist ungerecht“, so Alturban. „Dabei ist es genau anders herum: Es geht darum, Ungleichheiten auszugleichen und mit derartigen Maßnahmen Chancengerechtigkeit herzustellen. Bei einem Schüler mit einer Sehschwäche ist es ja auch selbstverständlich, dass er eine Brille tragen darf und nicht ungerecht. Diese Selbstverständlichkeit muss auch beim Autismus-Spektrum das Ziel sein.“ Der Pädagoge kritisiert neben fehlendem Verständnis auch, dass es für vor allem für Jugendliche im Autismus-Spektrum sehr wenige Angebote gibt. „Inklusion in der Schule endet häufig bei der Oberstufe oder allerspätestens danach. Auf der Uni nimmt dann aber niemand mehr Rücksicht. Wir müssen endlich weiterdenken“, so Domink Alturban. Viele Eltern haben einen langen Weg hinter sich, bis sie die richtige Diagnose für ihr Kind bekommen. „Wenn man die Diagnose hat, steht man relativ alleine da“, so Gudrun Senk. Die Wartezeiten für Diagnostik und Therapie sind sehr lang. Es gibt zu wenig Therapieplätze und elendslange Wartezeiten. Leistbare und verfügbare therapeutische Hilfen sind aber ganz entscheidend, damit autistische Kinder gut aufwachsen können. „Die Angebote dürfen nicht mit dem Jugendalter enden, sondern müssen die gesamte Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen umfassen“, so Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser.
Frühförderung ausbauen
Da Kinder mit Autismus leichter über das Sehen als über das Hören lernen und verstehen, sind Zeichnungen oder Fotos wichtige Hilfsmittel. In der Frühförderung der Diakonie werden Eltern angeleitet, Fotos von Abläufen zu machen, die z.B. das Bett gehen am Abend erleichtern sollen. Ein Bild zeigt das Zähne putzen, eines das Pyjama anziehen, eines die Toilette, eines das Vorlesen einer Gute-Nacht-Geschichte. Die Bilder geben dem Kind Sicherheit und machen ihm die Struktur eines Tages verständlich. Im Diakonie Zentrum Spattstraße werden Kinder und Jugendliche mit Autismus betreut und Eltern beraten: Im Kindergarten für Dich und Mich, in der Heilpädagogischen Frühförderung, in der Frühen Kommunikations‐Förderung, in der Assistenz von Schüler*innen, sowie in der Sozialpädagogischen Familienbetreuung und in der Familien- und Erziehungsberatung. „Damit junge Menschen im Autismus-Spektrum ein Umfeld haben, in dem sie sich gut entfalten können, ist mehr Frühförderung notwendig, es braucht mehr Therapieplätze und die Schulassistenz muss ausgebaut werden“, so die Diakonie Direktorin.