Angewandte Solidarität

© eSeL.at: Joanna Pianka

Unter dem Titel „The Non-Citizen Movement“ präsentiert sich das Kulturfestival Wienwoche 2024 heuer als Agentur für Kunst und Aktivismus, die Handlungsmöglichkeiten für die Stimmlosen, für in Wien lebende Menschen ohne Bürger:innenrechte aufzeigt.

Bereits zum 13. Mal lädt Wienwoche ein, am Aufbau einer Nicht-Bürger:innenbewegung mitzuwirken. Sie folgt als solidarische Transformationskraft der Vision eines internationalen Bündnisses. Allen Beschränkungen der politischen oder künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, allen Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit zum Trotz öffnet Wienwoche ein experimentierfreudiges Handlungsfeld. In dessen Zentrum stehen Begriffe wie Unterwanderung, Abschaffung, Ungehorsam. Aber auch: Poetik und alternative Infrastrukturen.

Einem Ende 2023 lancierten Open Call folgten 112 Projekteinreichungen. Die Jury, bestehend aus dem Wienwoche Kurator:innen-Team, dem Vorstand des Vereins zur Förderung der Stadtbenützung, dem Wienwoche Träger und den externen Berater:innen Sonja Eismann (Redakteurin Missy Magazine, Berlin), Simona Ognjanović (Kuratorin der Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst im Museum Jugoslawiens, Belgrad) sowie Yohanna M Roa (Kuratorin, Kunstkritikerin, bildende Künstlerin und Kunsthistorikerin, New York).

„Viele Menschen in Österreich, vor allem Migrant:innen, warten vergeblich auf ihre Anerkennung als politische Subjekte. Besonders dann, wenn sie ohne Dokumente hier leben oder ihre Bewegungsfreiheit durch das Schengen-Regime limitiert ist“, sagt Jelena Micić, künstlerische Leiterin von Wienwoche. Das Festival will 2024 deshalb Beispiele praktizierter Solidarität und Nonkonformität geben. „Wir zeichnen eine Landkarte jener Risse und Spalten im gesellschaftlichen System, durch die der Wind einer gleichberechtigten Vereinigung aller ‚Nicht-Bürger:innen‘ wehen kann, wenn wir sie mittels künstlerischer und aktivistischer Praktiken ein wenig vergrößern“, so Micić. Letztlich lasse sich Wienwoche 2024 auf eine einfache Kernfrage zuspitzen, meint Co-Kuratorin und Projektdramaturgin Araba Evelyn Johnston-Arthur: „Wo bleibt mein Visum?“

In ihrer englischen Form „Where Is My Visa?“ ziert diese Frage die Wienwoche-Festivaltaschen. Das Design stammt von Vivian Crespo Zurita, Studentin an der Akademie der bildenden Künste Wien. Die provozierte Antwort sei, so Araba Evelyn Johnston-Arthur, dass das Visum hinter den bürokratischen Hindernissen der Mehrheitsgesellschaft versteckt werde. „Deshalb packt Wienwoche noch einen ‚Wahlstift‘ in die Merch-Taschen. Den Stift können Menschen ohne Wahlrecht einer wahlberechtigten Person schenken, damit diese ihre Anliegen in der Wahlzelle vorantreibt“, erläutert Johnston-Arthur.

Sieben Projekte als Beispiele für praktizierte Nonkonformität

„We wish you a safe ride“ stellt unter der Führung des Riders Collective die prekären Arbeitsverhältnisse der meist migrantischen Fahrrad-Essenslieferant:innen zur Debatte. Ihre Schichten darf das Wienwoche-Publikum übernehmen, damit sie Zeit für gewerkschaftliche Organisierung finden. Mit dem Projekt „Wir sprechen für uns selbst“ öffnet die Union für die Rechte von Gefangenen Kunst- und Kommunikationskanäle in Gefängnisse, um Strafgefangene als politische Subjekte anzuerkennen und deren Resozialisierung voranzutreiben.

Exemplarische Praktiken des Widerstands präsentieren die Projekte „Anti Extraction Peoples School“ (von Group on Green Extractivism in the Balkans) sowie „Bunx: dripping in jelly of the black atlantic“: Erstgenanntes durchleuchtet die invasiven Praktiken der EU und ihrer Konzerne, die bei der Gewinnung von Bodenschätzen in Drittstaaten weder Rücksicht auf die Umwelt noch die lokale Bevölkerung nehmen. Zweitgenanntes dreht sich um die nonkonformistische Bekämpfung sexistischer und rassistischer Körperbilder durch den provokanten Tanzstil des Twerk.

„Gullüminaj. Vienna‘s Queer X Gazino: A celebration of resilient diversity“ verwandelt das in türkischen Migrant:innen-Communities beliebte Partyformat der Gazinos in achtsame Orte queerer Begegnung. Im Rahmen einer temporären Audioinstallation des DePart Collective sind Briefe heute lebender Menschen an Rom:nja und Sinti:zze zu hören, die im Porajmos (nationalsozialistischer Genozid) ihr Leben verloren. Unter dem Motto „Die Welt braucht uns!“ feiert die Migrant:innen-Initiative maiz mit Performances, Diskussionen und Interventionen ihr 30jähriges Bestehen, das eine willkürliche „Förder-Leitkultur“ per Entzug der Basisförderung beenden will.

Das Festival-Team (im Bild ganz oben © eSeL.at/ Joanna Pianka) besteht aus Nataša Mackuljak, Geschäftsführin des Festivals, Jelena Micić, künstlerischer Leiterin, Araba Evelyn Johnston-Arthur Co-Kuratorin und Projektdramaturgin und Co-Kuratorin Denise Palmieri. Die Wienwoche findet von 13. bis 22. September 2024 statt.