Menschen mit Autismus sind häufig darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten. Plötzliche Veränderungen können sie total überfordern, sehr nervös machen oder sogar panische Reaktionen hervorrufen. Mohammad Abdullahpour ist Informatiker und Fachkraft für berufliche Rehabilitation beim Institut Phönix Project in Wien Liesing. Immer wieder betreut er Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. Er ist überzeugt, dass Menschen mit ASS, bei erfolgreicher Integration in die Arbeitswelt, wertvolle Mitarbeiter*innen sein können.
Access Guide Magazin: Warum sind Rituale oder ritualisierte Handlungen für Menschen mit Autismus so wichtig und welche Rituale gibt es da?
Mohammad Abdullahpour: Ich würde diese Wiederholungen nicht als Rituale bezeichnen. Menschen mit ASS greifen beispielsweise Oberflächen oder die eigenen Hände ständig an, oder bewegen den Oberkörper rhythmisch. Für mich hat all das neurologische Ursachen und es ist für die Betroffenen auch eine Möglichkeit, den eigenen Körper wahrzunehmen. Aber es stimmt schon, dass Menschen mit ASS Wiederholungen mögen. Wenn im Badezimmer die Zahnpasta auf der rechten Seite steht, dann muss das für einen Menschen mit ASS immer so bleiben. Jede Abweichung würde nicht der Norm entsprechen. Mit Veränderungen kommen Menschen mit ASS nicht so gut zurecht. Wichtig für sie ist, dass man sie entsprechend begleitet und unterstützt.
Access Guide Magazin: Welche Veränderungen werden von Menschen mit ASS als bedrohlich empfunden, wie geht man damit um?
Mohammad Abdullahpour: Bedrohlich würde ich nicht sagen, aber Veränderungen sind für sie nicht sonderlich vertrauenswürdig. Im Autismusspektrum gibt es sehr viele verschiedene Ausprägungen, das kann man nicht verallgemeinern. Um mit Veränderungen klar zu kommen, brauchen Menschen mit ASS viel Zeit und Raum, um Vertrauen gewinnen zu können. Ich hatte zum Beispiel einen Klienten, den ich immer zu seinen Vorstellungsgesprächen begleitet habe, weil er in den ersten zehn Minuten mit einem Fremden, kein Wort über die Lippen gebracht hat. Ich konnte dabei helfen, diese Zeit zu überbrücken, ich war gewissermaßen ein Verbindungsteil. Letztendlich hat der Mann so einen Job bekommen, in dem er immer noch glücklich ist. Meine Empfehlung an alle Firmen ist, dass sie von Menschen mit ASS durchaus profitieren können: Sie eignen sich hervorragend für Aufgaben, die sich wiederholen, sie sind sehr zuverlässig, erledigen alle Aufträge zu 100 Prozent und können nicht lügen. Ich bin überzeugt, dass Menschen mit ASS für viele Unternehmen ein Gewinn sind.
Access Guide Magazin: Menschen mit Autismus haben oft eine Inselbegabung oder bestimmte Spezialinteressen. Trifft das zu oder ist es ein Klischee?
Mohammad Abdullahpour: Gewisse Spezialbegabungen kommen bei Menschen mit ASS immer wieder vor. Einer meiner Klienten hatte zum Beispiel ein enormes Allgemeinwissen, er hätte bei jeder Quizsendung punkten können. Manche haben ein ausgeprägtes Talent für Sprachen und können mehrere Fremdsprachen ganz leicht lernen.
Access Guide Magazin: Wie wichtig sind verlässliche Strukturen für Menschen mit ASS?
Mohammad Abdullahpour: Sehr wichtig, weil sie sich so an dem orientieren können, was sie gelernt haben und bereits kennen. In Österreich gibt es mittlerweile ein sehr gutes System der Frühförderung von Kindern mit ASS. Dadurch können nachhaltige Erfolge erzielt werden. Strukturen sind für Menschen mit ASS lebensnotwendig. Nur so können sie sich auf Neues einlassen.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.