Eine Diamantenmine in Russland, Flüchtlingsstädte in der Sahara, Bohrinseln im Kaspischen Meer oder die Minenstadt Chuquicamata in der Atacama-Wüste: Der Fotograf Gregor Sailer erkundet mit seiner Kamera die Randzonen menschlicher Zivilisation. Der Künstler interessiert sich für die Veränderung von Landschaft durch den Menschen sowie die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Implikationen von Architektur. Das führt ihn in unwirtliche Weltgegenden, Potemkinsche Dörfer und an Orte, die nur für wenige Menschen erreichbar und zugänglich sind. Die Arbeiten Gregor Sailers verlangen monatelange Recherchearbeit und Aufenthalte unter extremen Bedingungen. Für seine jüngste Serie „The Polar Silk Road“ unternahm Sailer mehrere Expeditionen in die Arktis. Mit diesem umfangreichen Projekt dokumentiert er den globalen Machtkampf um diese ökologisch, ökonomisch und sicherheitspolitisch höchst relevante Weltregion. Das aktuelle Ringen um territoriale Ansprüche und neue Rohstoffe ist auch eine Folge des Klimawandels, denn die Eisschmelze ermöglicht neue und vor allem viel kürzere Schiffsrouten, die einen enormen Wettbewerbsvorteil schaffen.
Die Werkgruppe „The Box“ zeigt einen sonst unzugänglichen Bergwerksstollen in den Tiroler Alpen, der während des Zweiten Weltkriegs als gigantische unterirdische Fabrik genutzt wurde. In der sogenannten Messerschmitthalle wurden Zwangsarbeiter:innen für den Bau von Kampfflugzeugen eingesetzt. Gregor Sailers Bilder der Serie „The Potemkin Village” eröffnen den Zugang zur Welt der Fakes und Kulissen und hinterfragen die mitunter absurden Auswüchse unserer Gesellschaft. Die Aufnahmen zeigen Gefechtsübungszentren in den USA und in Europa, detailgetreue Repliken europäischer Städte in China oder Orte in Schweden, die eigens für Fahrzeugtests errichtet wurden. Aber auch Potemkinsche Dörfer in Russland, wo im Zuge eines Putin-Besuchs in Susdal und in der Stadt Ufa ganze Straßenzüge mit Tapeten und Planen beklebt wurden, um leerstehende Gebäude mit einer vorgetäuschten Betriebsamkeit zu versehen.
Gregor Sailers Fotos sind menschenleer, die Gebäude darauf wirken oft wie Skulpturen. Politische Konflikte oder abgeriegelte Territorien – seine Bilder offenbaren, welche Dynamiken zur Existenz dieser Orte führen. „Gregor Sailer hält weltweit nach sonderbaren, bisweilen dystopischen Szenerien Ausschau“, analysiert die Kuratorin der Ausstellung, Verena Kaspar- Eisert. „Obwohl nie ein Mensch zu sehen ist, sagen seine Arbeiten so vieles über die Menschheit aus. Gregor Sailer ist ein Bildermacher, der seine Aufnahmen gut durchdacht komponiert und mit seinen aufwendigen Aufnahmen der schnelllebigen, volatilen Bilderflut etwas Ruhiges und Präzises gegenüberstellt.” Das Kunsthaus Wien widmet dem Fotokünstler seine erste große Ausstellung in Österreich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, in zahlreichen Publikationen und Ausstellungen international gezeigt und sind in öffentlichen wie privaten Sammlungen vertreten. Die Ausstellung ist noch bis 19. Feber 2023 zu sehen.
Gregor Sailer wurde 1980 in Schwaz in Tirol geboren. Von 2002 bis 2007 absolvierte er ein Diplomstudium im Bereich Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie und Experimentalfilm an der Fachhochschule Dortmund. Dort schloss er 2015 auch das Masterstudium Photographic Studies ab. Sailers mehrfach ausgezeichnete Arbeiten wurden national und international in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem in New York, Arles, Mailand, Prag, Berlin und Budapest. Zahlreiche seiner Fotoserien wurden als Fotobücher publiziert, zuletzt „The Polar Silk Road“. Der Künstler lebt in Tirol.