Bobo

Bild von Annie Spratt auf Pixabay

Das Access Guide Magazin widmet sich im Oktober dem Thema „Freundschaft“. Im Rahmen der „Österreichischen Tage der Diversität 2021“ fand ein Schreibworkshop dazu statt. Teilnehmerin Jaey* erinnert sich in ihrem Text an den ersten Kindheitsfreund:

„Ich weiß eigentlich gar nicht mehr so genau, wo und wie wir uns kennengelernt haben. Ich glaube, wir waren schon in der Volksschule zusammen. Sicher bin ich mir nicht. Woran ich mich jedoch noch sehr gut erinnern kann, ist, wie ich mich mit dir gefühlt habe. Wir haben viel gelacht und waren immer gemeinsam unterwegs. Meistens in der Gruppe mit den anderen Burschen. Ich frage mich gerade ob ich das einzige Mädchen war? Jedenfalls kann ich mich gerade nicht an ein anderes erinnern. Was auch eigentlich keine Rolle spielt. Zusammensein. Abenteuer. Erlebnisse. Freizeit. Miteinander. Ich weiß heute noch ganz genau wie du aussiehst. Kenne dein Lachen. Spüre deine Größe im Vergleich zu mir. Wir waren immer gleich. Ebenbürtig. Es gab keinen Unterschied. Du warst dabei als ich Schwimmen gelernt habe. Naja, ich habe so getan als könnte ich schon schwimmen, und du warst der Einzige der gemerkt hatte, dass ich es wohl gerade erst gelernt habe und noch super unsicher dabei bin. Das war mir unangenehm, weil ich nicht auffallen und in allem beeindruckend sein wollte. Vor allem bei dir. Aber es war nur ein kurzer Moment, der sich schnell in Humor aufgelöst und schon bald keine Rolle mehr gespielt hat. Wir sind zusammen aufgewachsen. In derselben Gegend. Du warst immer mein Lieblingsmensch, aber ich glaube so richtig viel Zeit allein haben wir nie miteinander verbracht. War ich jemals bei dir Zuhause? Ich weiß, du warst niemals bei mir. Wie auch alle anderen in meinem Leben nicht. Das war also nichts Außergewöhnliches. Und ich frage mich, wann unsere Freundschaft zu Ende ging? Was war der Auslöser? Sind wir in verschiedene Schulen gegangen?

Vor einigen Jahren habe ich dich auf Social Media gefunden. Du bist jetzt Vater. Das kann ich mir so richtig gut vorstellen. Du warst einer von den wenigen Burschen, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte, die in sich stimmig waren. Du hattest eine Unaufgeregtheit. Ruhe. Dir war nicht wichtig, um jeden Preis mit den anderen wettzueifern. Als hättest du damals schon gewusst, wer du bist. Und wer du nicht sein musst. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich weiß nicht, ob ich in dich verliebt war oder dich bewundert habe. Gibt es da überhaupt einen Unterschied? Egal wie ich es nenne, es war so schön, dass wir uns hatten. Du hast dich irgendwie nach Zuhause angefühlt. Aber nicht nach dem Ort, den ich kannte, sondern dem „Richtigen“. Was auch immer das bedeutet.

Maya Angelou schreibt, dass wir uns meistens nicht mehr daran erinnern können, was uns jemand in der Vergangenheit gesagt hat, oder was diese Person gemacht hat, aber dass wir niemals vergessen, wie wir uns mit jemanden gefühlt haben. Genau so ist es mit dir. Du bist für mich ein Gefühl! Ich kann unsere ganze gemeinsame Geschichte nicht an Ereignissen festmachen, sondern einzig an diesem einen, großen und schönen Gefühl. Und das ist mir genug. Wenngleich mein Kopf nach großen Ereignissen sucht und verlangt. Denn ich habe gelernt, dass Freundschaften in unserer Welt daran gemessen werden, was wir alles miteinander erlebt haben und welche Zeitspanne uns „verbindet“. Dabei sind es nicht die Ereignisse oder die Zeit an sich, sondern die Momente, in denen wir uns miteinander lebendig gefühlt haben. Wenn ich an diese Zeit mit dir zurückdenke, dann fühle ich mich vor allem unbeschwert und lebendig. Ein Gefühl, dass ich einige Jahre nach dir für sehr lange Zeit verlieren sollte. Umso wichtiger ist meine Erinnerung an dich! Gerade jetzt wo ich es mir wieder zurückholen und wieder in mein Leben integrieren möchte. Leichtigkeit. Unbeschwertheit. Lachen. Lieben. Leben. Sein! Das waren WIR. Wir waren einfach zusammen, und es war genug. Wo ist diese Zeit geblieben? Wie hole ich sie wieder in mein Leben? Kann es genug sein, mich zu erinnern? Kann es so einfach sein? Darf es so einfach sein? JA!

Ich sehe dein Lachen vor mir. Und gleichzeitig weiß ich, dass dein Leben nicht vieles bereithielt, das dieses Lachen rechtfertigte. Denn mein Glück, dich kennenzulernen, war dem Umstand geschuldet, dass deine Familie damals mit dir nach Österreich geflohen ist. Und das war ganz bestimmt kein leichter Start ins Leben. Aber vielleicht ist genau das unsere Verbindung. Wir haben zwar verschiedene Geschichten aber der Kern ist derselbe. Die Sehnsucht nach der unbeschwerten Leichtigkeit. Weil wir genau damit nicht ins Leben geschickt wurden und es schon so früh unsere Aufgabe war, sie zu bewahren bzw. sie wieder neu zu entdecken. Weil sie uns immer zustand und sie uns etwas oder jemand einfach genommen hat. Wir waren beide viel zu jung für unser Schicksal. Doch wir hatten Glück. Wir hatten uns!“

*Jaey (Name geändert) ist Teilnehmerin von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.