Ein Animateur im zerschlissenen, mit Schweißflecken übersäten Superman-Kostüm, der reiche, im Pool badende Russinnen unterhält. Ein uniformiertes Erschießungskommando, das zahlenden Tourist*innen den Schauer des letzten Moments auf Erden näherbringen soll. Oder Badegäste, die sich vor dem künstlichen Himmel einer Berliner Indoorwelt der Illusion vom „Urlaub in den Tropen“ hingeben: Der österreichische Fotograf Reiner Riedler setzt sich in seinen Arbeiten mit dem zutiefst menschlichen Streben nach Glück auseinander. Das Fotomuseum WestLicht widmet dem international erfolgreichen Fotografen nun erstmals eine umfassende Werkschau.
Riedler sucht bevorzugt Orte auf, die zumindest eine kurzfristige Möglichkeit zur Flucht aus dem Alltag versprechen: künstliche Freizeitwelten, die er in seiner viel beachteten Serie Fake Holidays entlarvend dokumentiert hat, einen mitten in einer postsozialistischen Plattenbautristesse Station machenden Russian Circus, die Pleasure Gardens der Swinger- und Fetischclubszene oder die in seiner jüngsten Serie End of the Night beleuchteten, pandemiebedingt stillgelegten Musikclubs und Tanzcafés. Für die bislang unveröffentlichte Serie This Side of Paradise schließlich porträtierte Riedler mehr als 20 Jahren lang Menschen, die sich auf alibi-traditionellen Krampus-Umzügen, München-nachahmenden Wiesenfesten oder animationsorientierten Erotikmessen den exzessiven Auswüchsen der modernen Eventkultur hingeben.
„Was die Menschen treibt, ist ein unstillbares Verlangen, alles und immer mehr zu konsumieren, um dem beschwerlichen Alltag entfliehen und sich zumindest für kurze Momente im Paradies wähnen zu dürfen“, so Riedler über seine Erfahrungen. „Letztlich muss dieser Eskapismus aber – wie der Ausstellungstitel ‚This Side of Paradise‘ suggeriert – immer erfolglos bleiben.“ Mit seiner in der klassischen Dokumentarfotografie verankerten und grundsätzlich seriell angelegten Fotografie zählt der in Wien lebende Künstler zu den – auch international – erfolgreichsten zeitgenössischen Fotografen Österreichs und hat einzelne Serien u.a. bereits im Pariser Centre Pompidou oder am TIFF in Toronto ausgestellt.
„Das Fotomuseum WestLicht hat es sich zur Aufgabe gemacht, neben internationalen Klassikern, auch die Werke österreichischer Künstler und Künstlerinnen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, so WestLicht-Gründer und Vorstand Peter Coeln. „Wir freuen uns daher, erstmals das umfassende, in seiner Konsistenz und Qualität wirklich beeindruckende Gesamtwerk von Reiner Riedler präsentieren zu können“. Dabei wird schon in den frühen Arbeiten Riedlers Gespür für einfühlsame Porträts sichtbar. Wie etwa die bis Ende der 1990er-Jahre noch in Schwarzweiß gehaltenen Momentaufnahmen aus den Serien Obdachlose, Albanien oder Ukraine zeigen, schafft er es, Menschen auch in prekären Situationen abzulichten, ohne sie dabei je bloßzustellen.
Abgerundet wird die von Rebekka Reuter und Michael Reitter-Kollmann kuratierte Schau durch Auszüge aus Riedlers konzeptuellen Werkgruppen, in denen er sich nicht zuletzt auch mit dem Medium selbst auseinandersetzt: So rufen etwa die durchleuchteten Filmrollen aus The Unseen Seen Emotionen rund um den Sehnsuchtsort Kino, aber auch ein Bedauern über den Verlust der analogen Technik hervor. Bei Sweat verweisen die auf spezialbeschichtete Baumwolle gebannten und später reproduzierten Schweißabdrücke von menschlichen Körpern nicht nur auf ein Grundprinzip des fotografischen Verfahrens, sondern in der Assoziation mit dem Turiner Grabtuch auch auf die geheimnisvollen Grenzen des irdischen Daseins. Die Ausstellung ist von 4. März bis 15. Mai 2022 im Fotosmuseum WestLicht zu sehen.
Bilder oben: Reiner Riedler: Zirkusprinzessin, Selenograd, Russland, 2004 aus der Serie und dem gleichnamigen Buch „Russian Cirkus“, Edition 5Haus, 2022