In ‚Wonderland‘ trifft die Utopie eines gelungenen Lebens voller Glück auf dystopische kahle Landschaften, in denen Isolation und Einsamkeit, Melancholie, Grausamkeit und Tod herrschen. Die Ausstellung in der Albertina Modern ist ein Ausflug, bei dem die Vergangenheit unserer Gegenwart auf ihre eigene Zukunft stößt.
Über hundert Meisterwerke werden in sieben Kapiteln von Andy Warhol bis Roy Liechtenstein, Anselm Kiefer bis Katharina Grosse, Ad Reinhardt bis Cecily Brown, Marc Quinn bis Erwin Wurm, von Albert Oehlen bis Markus Schinwald gezeigt. Die Schau spiegelt das große Spektrum an zeitgenössischer Kunst aus allen Sammlungen der Albertina nach 1945 wider. „Ganz wie im Wonderland bei Lewis Carroll finden wir hier einen Zusammenprall von verschiedenen Kunst-Wirklichkeiten vor, widersprüchliche Fantasiewelten existieren nebeneinander. Lewis ́ Wunderland ist kein Schlaraffenland. Es ist aber auch kein Kerker. Es ist vieles, und alles gleichzeitig. Je nach Lesart, sind die eröffneten Welten bedrohlich oder geben Hoffnung“, sagt Albertina Chef Klaus Albrecht Schröder.
Die Last der Geschichte
Der große Mittelsaal widmet sich den deutschen Individualisten. Hier begegnen uns starke Individuen, deutsche Künstler, die die Last der Geschichte, die Last der deutschen Vergangenheit zum Ausgangspunkt ihrer Kunst gemacht haben: Anselm Kiefer, Georg Baselitz, der die NS-Vergangenheit kritisiert, Markus Lüpertz, der die Militarisierung der deutschen Gesellschaft anprangert, Penck, der in der DDR mit Malverbot belegt und ausgestoßen wurde oder Immendorff, der die deutsche Teilung, weil sein eigenes Leben und Sterben immer wieder aufs Neue davon abhing, verarbeitet. Diese alten Künstler sind in ihrer Wirkung auf die Kunst gar nicht zu überschätzen, obwohl sie nie Teil einer Gruppe gewesen sind. Vielleicht erklärt gerade das ihren seit Jahrzehnten anhaltenden Erfolg, ihre dominante Stellung in der Kunst.
Entfesselte Fantasie
Kein Weg führt auch an der Pop-Art vorbei, wenn man sich im Land zeitgenössischer Kunst bewegt. Wir erleben sie hier jedoch, trotz der ihr innewohnenden, farbexpressiven Schlagkraft in ihrer Zerbrechlichkeit: Harold Ancarts Streichholz wird in wenigen Sekunden abgebrannt sein, wir finden kopulierende Skelette vor, die Badenden von Alex Katz zeigen eine brüchiges Glücksversprechen. Doch auch das liegt im Auge der Betrachter und seiner Perspektive. Zu sehen sind u.a. Arbeiten von Markus Muntean und Adi Rosenblum. Das Künstlerduo arbeitet seit 1992 zusammen. Ihre Werke sind oftmals durch die Ästhetik und den Lebensstil der Jugendkultur inspiriert. Sie erarbeiten ihre Figuren nicht anhand von realen Beobachtungen auf der Straße, sondern entnehmen sie vorwiegend bereits inszenierten Idealvorstellungen auf Fotografien und Anzeigen in Lifestyle-Magazinen. Ihre tableauartigen Gemälde ähneln einander im Aufbau: Jugendliche stehen auf verlassenen Plätzen – einsame Protagonisten, die trotz aller physischen Nähe zu anderen voneinander isoliert sind. (Bild oben: Before we know it/2000 Albertina, Wien/Familiensammlung Haselsteiner © Muntean/Rosenblum)
Einer der Ausstellungsräume ist der großen österreichischen Malerin Maria Lassnig und dem deutschen Künstler Georg Baselitz gewidmet. Lassnig, die als Erfinderin der Body-Awareness- Art gilt, stand körperlichen Beziehungen, der physischen Nähe zwischen den Geschlechtern zeit ihres Lebens meist zutiefst ambivalent gegenüber. Wenngleich sie sich nach Intimität sehnt, nimmt ihre Kunst immer den ersten Platz ein. Auch dem Gemälde „Die Last des Fleisches“ untersucht sie diese konfliktreichen Gefühle der Anziehung und Zurückweisung in ihren Arbeiten. Sie tritt mit ihrer Doppelgängerin nackt vor die Leinwand und zeigt jene Körperfragmente, die sie im Moment des Malens fühlen kann. Die metaphorisch gesprochene Last, die sie auf den Schultern trägt, drückt in der Form schwerer Fleischstücke die Malerin fast nieder. Die Ausstellung ist von 7. Mai – 19. September 2021 in der Albertina Modern zu sehen.