Die Dinge des Lebens

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„Sag mir wer ich bin, kennst du meinen Namen? Ich bin die Furcht, ich bin der Mut, ich bin die Schönheit, Ich bin das Leben – ich bin die Hoffnung in der Dunkelheit“, sangen einst die „Früchte des Zorns“ in ihrem Lied „Das Herz ist ein Muskel in der Größe einer Faust“. Martin* und Arthur* haben sich dem Thema auf unterschiedliche Art genähert:

Martin: „Wenn wir über Mut reden, denken wir meistens an Leute die aus Flugzeugen springen oder in ein brennendes Gebäude rennen, um jemanden zu retten. Ja dafür braucht es Mut, aber Mut wird auch im alltäglichen Leben für so einige Sachen gebraucht. Zum Beispiel um seinem Chef zu sagen, dass die Abrechnung, die er bis heute haben wollte, noch nicht fertig ist oder um jeden Tag über die Tangente zu fahren. Mut braucht es aber auch für kleinere Herausforderungen, wie ein neues Gericht auszuprobieren. Mut durchströmt jeden von uns, manche mehr, manche weniger.

Das Mutigste, was ich je gemacht habe, war mir einzugestehen das ich psychisch krank bin und Hilfe brauche. Der erste Schritt ist schwer und erfordert viel Mut. Wir müssen das aber nicht alleine bewältigen. Ich hatte damals zum Glück meinen besten Freund, der für mich einen Therapeuten rausgesucht hat, für mich angerufen hat und mit mir sogar zur ersten Sitzung gegangen ist. Ich erinnere mich noch, wie viel Angst ich hatte und war froh, dass er mir etwas von seinem Mut gespendet hat. Ja Mut kann man teilen, wenn der andere bereit ist, ihn auch anzunehmen. Heute bin ich froh darüber, dass ich so viel Mut hatte, den ersten Schritt zu gehen und auch alle weitern bis zu dem Punkt, an dem ich heute bin. Mir geht es viel besser, ich steh` kurz davor wieder arbeiten zu gehen, ich schlafe viel besser, ich habe meine Gefühle halbwegs im Griff und ich bin seit fast einem Jahr frei von Selbstverletzungen. Klar, ich habe noch einen weiten Weg zu gehen und er wird auch nie aufhören, aber mit ein bißchen Mut von mir und großem Mut von meinem besten Freund habe ich den steinigsten Part hinter mir. Es braucht Mut, um sein Leben in die richtige Richtung zu lenken“.

Toni: „Ich war gerade einmal elf Jahre alt. Meine Tante wohnte im selben Gemeindebau wie wir. Ich wartete im Stiegenhaus 4 auf einen Freund, der ein paar Jahre jünger war, als ich. Als er eintraf begrüßten wir uns fröhlich und sprachen darüber, was wir als nächstes machen. Da kam ein älterer Junge die Stiegen herunter spaziert und fragte uns, was wir in seinem Stiegenhaus zu suchen hätten. Wir antworteten kurz und bündig: ,Nix!` Daraufhin wurde der Junge aggressiv und stieß meinen jüngeren Freund zu Boden. ,Jetzt muss ich meinen Freund verteidigen`, dachte ich und schlug dem älteren Jungen mit voller Wucht ins Gesicht. Das hat ihn einen Zahn gekostet. Er lief weinend zu seiner Mutter, welche auch direkt die Polizei verständigte. ,Das war einer seiner zweiten Zähne` meinte sie. Deshalb müssten wir wohl Schmerzensgeld bezahlen. Meine Mutter war sehr böse. Vater meinte, dass er mir beigebracht hat, Schwächere zu verteidigen und lobte mich. Letztendlich mussten wir kein Schmerzensgeld bezahlen. Es war nicht einmal zu einer Verhandlung gekommen. ,Nochmal Glück gehabt`, meinte Mutter. Vater war stolz auf mich, weil ich Mut bewiesen hatte. Es war auch er, der mir beigebracht hatte, wie ich meine Hand zur Faust balle und gezielt zuschlage. Danke Papa

Als ich ungefähr 14 Jahre alt war und im Hof Fußball spielte, kam es zu einem Kampf mit einem Jungen der zwei Jahre älter war als ich. Ich habe ihn ausgedribbelt. Er hatte sich furchtbar geärgert und wollte mich deshalb verhauen. Martin war fast um einen Kopf größer als ich und wog auch locker zehn Kilo mehr. Er kam mit geballter Faust auf mich zu. Ich hatte große Angst und war wie erstarrt. Gerade als er mich schlagen wollte, wich ich zurück und konterte mit einem gezielten Schlag auf die Nase, welche danach gebrochen war. Das Blut ist geflossen und er rannte weinend nach Hause. Die Älteren aus dem Hof hatten die Aktion mitverfolgt und nannten mich ab diesem Zeitpunkt: ,Killer Toni`. Ich wäre der Erdberger Nachwuchs der in Zukunft genauso wie sie für den Gemeindebau einstehen würde und diesen auch mit Blut und Schweiß verteidigen würde. Später habe ich einen der Großen mit einem Gürtel bis nach Hause gejagt, weil er die Kleineren mit dem Ball abgeschossen hat. Hätte ich ihn erwischt, hätte ich ihn mit meiner Harley Davidson Gürtelschnalle bearbeitet. Thomas war damals bestimmt drei Jahre älter und über 20 Kilo schwerer als ich. Trotzdem habe ich ihn bis zu seiner Haustüre verfolgt. Er hat es ganz knapp hineingeschafft und schmiss die Türe hinter sich zu. Ich klopfte wie wahnsinnig, bis seine Mutter die Tür öffnete und schrie: ,Loss mein Bua in Ruah`. Seitdem war ich einer der meistrespektierten Leute im Gemeindebauhof.

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Pexels Maksim Romashkin

1996 habe ich mein erstes Graffitibild gemalt. Alleine auf der Erdberger Lände im Basketballkäfig. ,Smart` war mein erstes Synonym. Das Bild war silber-schwarz. Es war echt nicht gut aber der erste Schritt ein Graffitimaler zu werden. In dem Alter hatte ich keine Unterstützung von Leuten, die einen Plan gehabt hätten, wie man ein Bild aufbaut, wie man die Konturen zieht oder wie man einen Schatten beziehungsweise 3D malt. Trotzdem war ich ein sehr begeisterter Maler. Ich wusste nur nicht, wie ich es schaffen könnte, Bilder zu malen, welche meinem gewünschten Qualitätsstandard entsprechen. Die Zeit verging und 1999 hatte ich einen Freundeskreis der sich ausnahmslos mit Hip Hop beschäftigte. Also gründeten wir die Crew ,CWK` welches für ,Criminal Writing Kids` stand. Ab diesem Moment gab ich mir den Künstlernamen Antik und sprühte meinen Namen an Wände und später auch auf Züge oder Busse. Es war ein geiles Gefühl, Bestandteil eines Sprayerteams zu sein und Nacht für Nacht auf der Jagd nach dem nächsten Platz der malerischen Selbstentwicklung zu suchen. Circa zwei Jahre später änderten wir den Crewnamen auf FN. Dieses Kürzel stand für ,Fuck Nazis`. Zu dieser Zeit regierte die FPÖ/ÖVP Koalition. In Wien waren plötzlich richtig viele rassistische Graffitis zu sehen. Diese habe ich durchgestrichen (ausgecrossed) und groß „Fuck Nazis“ darübergeschrieben. Auch untertags auf Hauptstraßen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Manchmal wurde ich darauf angesprochen, was für einen Scheiß ich hier fabrizieren würde. Ich antwortete aggressiv: ,den Nazischeißdreck vernichten und Fuck Nazis darüberschreiben`. Später meinte der Staatsanwalt, dass ich mich politisch im System aktiviert habe und gegen den Staat agiere. Ich wurde zu drei auf fünf Jahre bedingt verurteilt. Das heißt, wenn ich in den nächsten fünf Jahren eine Straftat begehen würde, bin ich schon mal fix drei Jahre in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert, plus die Strafe die ich für die weitere Straftat bekommen würde. Am Tag meiner Verurteilung habe ich dennoch wieder ein ,Fuck Nazis` auf eine S-Bahn gemalt. So mancher nannte das sehr mutig. Andere meinten einfach nur, dass ich dumm bin und für political correctness meine Zukunft riskiere. Ich sah es als meine Pflicht, gegen diese Ideologie einzutreten. Darauf bin ich sehr stolz. Graffiti ist heute noch ein fester Bestandteil meines Lebens. Auch wenn ich deshalb einen riesigen Berg an Schulden angehäuft habe, möchte ich diese Erfahrungen und die daraus folgenden Lebensereignisse nicht missen.

Nachdem ich 2003 verurteilt wurde, hatte ich die Chance nach Deutschland zu ziehen. Zur Auswahl standen Münster, Bielefeld oder Heidelberg, weil ich in diesen Städten Freunde hatte, welche mir den Umzug und das Einleben erleichtern würden. Schlussendlich entschied ich mich für Bielefeld, weil dort meiner Meinung nach am meisten ,Hip Hop` gelebt wurde. Im Endeffekt bin ich mit 500 Euro ausgewandert und habe es geschafft in Bielefeld Fuß zu fassen. Viele Menschen, insbesondere meine Eltern bewunderten meinen Mut, meine Zielstrebigkeit und mein Durchsetzungsvermögen.

Als Mensch, der sich und seine lyrischen Werke regelmäßig auf Bühnen präsentiert, muss man schon einen gewissen Mut aufbringen, um diese vor einem Publikum vorzutragen und bei Wettbewerben mitzumachen. Man wird bewertet und im schlimmsten Fall ist man in der Vorrunde ausgeschieden. Das hört sich jetzt nicht sonderlich schlimm an. Jedoch ist es für mich jedes Mal eine derbe Blamage gewesen, nicht das Finale zu erreichen und somit keinen Podestplatz zu ergattern. Selbst zweite oder dritte Plätze waren für mich kein wirklicher Gewinn. Natürlich freute ich mich einerseits, wieder einmal unter die ersten Drei gekommen zu sein. Andererseits erinnert sich keiner an die zweiten oder dritten, sondern nur an die Gewinner. Ich bin ein Gewinner. Ich bin jemand, der sich seiner Stärken vollkommen bewusst ist und ich möchte deshalb auch stolz und vor allem preisgekrönt von der Bühne treten. Das gelang mir leider nur vier Mal. Das Feedback war meistens phänomenal. Schade, dass es zu oft nicht für den ersten Platz reichte. Es erforderte immer wieder großen Mut gegen lyrisch versierte Teilnehmer anzutreten. Zum Glück habe ich seit meiner Kindheit einen Schalter in mir, der für meine Angst und Zweifel zuständig ist. Diesen kann ich betätigen und in einen Modus stellen, welcher mich zu einem unsensiblen, durch nichts zu zerstörendem Biest mutieren lässt. Nur in diesem Geisteszustand kann ich mit Niederlagen umgehen und sie mir nicht zu sehr zu Herzen nehmen. Mut ist wohl die Fähigkeit seine Ängste zu verdrängen um gerecht zu handeln, um selbstbewusst aufzutreten und sich durch nichts und niemanden aufhalten zu lassen“.

*Martin und Toni (Namen geändert) sind Teilnehmer von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.