Alles beginnt gut: Emmanuel Carrère erfreut sich eines gelungenen Lebens und plant ein feinsinniges Büchlein über Yoga, das er selbst seit einem Vierteljahrhundert praktiziert. Zunächst läuft noch alles bestens, doch dann überstürzen sich die Ereignisse.
„Mein Leben, das ich für so harmonisch, gefestigt und geeignet hielt, war in Wirklichkeit dabei, ins Verderben zu stürzen … und dieses Verderben rührte nicht von äußeren Umständen her, nein, es kam aus mir selbst“, schreibt der französische Autor Emmanuel Carrère zu Beginn seines Buches „Yoga“. Um zu recherchieren, zieht sich der Autor für zehn Tage in ein Meditationszentrum zurück, muss aber früher zurück nach Paris, weil ein naher Freund von ihm Opfer eines Terroranschlags geworden ist und Carrère eine Grabrede halten soll. Nach der Beerdigung beginnt Carrère eine heftige Affäre mit einer Frau, die er heimlich in einem kleinen Hotel in einer Provinzstadt trifft. Beide wissen nichts vom Leben des Anderen. Dann kündigt die Geliebte an, weit weg zu ziehen. Das ist der Beginn des Zusammenbruchs.
Bei Carrère wird eine bipolare Störung diagnostiziert und er verbringt vier quälende Monate in der Psychiatrie, wo er versucht, seinen Geist mit Gedichten zu beruhigen. Carrére reflektiert sein Elend: „Ohne mir etwas darauf einzubilden, bin ich außergewöhnlich begabt darin, ein Leben, das alles hätte, um glücklich zu sein, zu einer wahren Hölle zu machen, und ich werde mir diese Hölle von niemandem kleinreden lassen: Sie ist real, fürchterlich real“, schreibt er und gibt zu, dass er gerne ein Mensch wäre „der auf seine Mitmenschen ausgerichtet ist und Vertrauen verdient“. Stattdessen sieht sich Carrére als labilen Narzissten, der besessen davon ist, ein großer Schriftsteller zu sein. Er wünscht sich ein entspannteres Verhältnis zu sich selbst und möchte „hinter diesem von seiner eigenen Kompliziertheit berauschten Kerl den armen kleinen Jungen sehen, der er eigentlich und immer noch ist“.
Schon vor dem Aufenthalt in der Psychiatrie schrumpft Carréres Leben zusammen auf den Gang zwischen seinem Bett und der Terrasse des Cafés, wo er stundenlang abgestumpft und unter den besorgten Blicken einer netten Kellnerin eine Zigarette nach der anderen raucht. Kurz darauf kommt er in eine geschlossene Abteilung, wo er Elektroschocks und Infusionen erhält. Allmählich gewinnt er wieder Boden unter den Füßen, wird entlassen und freut sich auf einen Urlaub auf Patmos, wo er ein Haus besitzt. Aber auch dort holen ihn Ängste ein. Auf der benachbarte Insel Leros befindet sich ein Flüchtlingslager. Dort bietet Frederica Mojave Kurse in Creative Writing an. Carrére will die Amerikanerin dabei unterstützen. Einen Abend lang trinken die beiden Wein in Mojaves Haus und tanzen zur Musik Chopins. In der Früh wacht Carrére verkatert und durstig auf und stellt fest, dass die Haustür verschlossen ist, der Schlüssel abgezogen. Die beiden Fenster im Erdgeschoss sind vergittert …
Emmanuel Carrères Buch ist eine radikale Selbstanalyse zwischen Autobiografie, Essay, Chronik und Roman. Er zeigt, was es bedeutet, ein in den Wahnsinn der heutigen Welt geworfener Mensch zu sein.
Emmanuel Carrère, 1957 in Paris geboren, lebt als Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur in Paris. Seine genresprengende Prosa wird in über 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach international ausgezeichnet. Sein aktuelles Buch „Yoga“ ist bei Matthes & Seitz Berlin erschienen.