Die Digitalisierung wird immer mehr Thema von Regierungsprogrammen und Medien. Aber nur selten wird erklärt, welche großen Herausforderungen und Veränderungen tatsächlich damit verbunden sind und welche Chancen sich daraus ergeben könnten. Paul Zawilensky hat versucht etwas Licht in das digitale Dickicht zu bringen: „Seit Jahren beschäftige ich mich mit den Veränderungen der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Als ehemaliger Mitarbeiter einer US- IT Firma konnte ich Veränderungen innerhalb einer Organisation miterleben und mitgestalten. Heute bin ich als Freelancer tätig und versuche meine Erfahrungen an andere weiter zu geben. Eine der Kehrseiten der Selbstständigkeit ist, dass es immer wieder Zeiten ohne Aufträge gibt. Diese Phasen sind zwar nicht leicht, bergen aber auch viel Potential zur Selbstverwirklichung.
Aktuell wird das Thema Zukunft der Arbeit, in der heimischen Politik wieder mehr diskutiert. Medien und Öffentlichkeit warten auf die Nagelprobe zu den groß angekündigten Vorhaben der neuen Regierung. Es gibt sogar ein eigenes Ministerium für Digitalisierung. Aber was sind tatsächlich die „Opportunities“ der modernen Zeit? Und wie können sie in die Arbeitswelt übersetzt werden? Denn was in den akademischen Thinktanks zwischen Silicon Valley, der Europäischen Union und dem innovativen Rest der Welt debattiert wird, muss auch in allen anderenTeilen der Gesellschaft ankommen. In Unternehmen, Eigenheimen, im Supermarkt, am Hauseingang oder Buseinstieg. An all diesen Orten der sozialen Begegnung findet nämlich weiterhin das tatsächliche Leben statt. Für uns hier in Wien ist schlussendlich das Internet der Dinge zwischen Floridsdorf, Simmering und Ottakring wichtig.
Als Gleichnis für die aktuelle Situation eignet sich am besten das Beispiel Supermarkt: Auf der einen Seite arbeitet da noch die Angestellte hinter der Kassa, auf der anderen Seite gibt es bereits „Bezahlcomputer“ für´s Selfservice. Beim Beobachten der bunten „Klientel“ entblättert sich Selbstverständnis und Verunsicherung durch die neue Zeit gleichermaßen.
Digitalisierung und Inklusion
Das digitale Zeitalter bietet ungeahnte Möglichkeiten für Randgruppen, weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Dort wo Smartphones, Laptops und die erleichterte Erreichbarkeit von Inhalten aller Art bereitstehen, kann gleichzeitig Barrierefreiheit für jene entstehen, die sich einem veränderten Arbeitsmarkt stellen, oder immer schon mit individuellen besonderen Herausforderungen umgehen mussten. Strukturelle althergebrachte, hemmende Bedingungen können heute durch Beteiligungen von BürgerInnen und privaten Vereinen in Zeiten von Social Media wesentlich schneller ausgeräumt werden. Egal ob jemand aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommt, oder es um psychische Beeinträchtigungen geht, Social Media kann ein niederschwelliger Einstieg sein, ohne sich gleich an offizielle öffentliche Sozialhilfeeinrichtungen wenden zu müssen.
Digitale Transformation als Motor
In unzähligen Blogs, Foren, auf Instagram oder Facebook boomen Inhalte zum Thema Kreativität und der Wichtigkeit des „Wieder“- Erlernens empathischer Softskills. Auf diesem Gebiet können wir von jenen, die ihr Leben immer schon unter besonderen Bedingungen gestalten mussten, lernen. Und zwar die Bereitschaft zur stetigen Veränderung und Anpassung. Bei allen kritischen Betrachtungen des Arbeitsmarktes in den USA, ist dort eines fortschrittlicher, als bei uns: Bei Jobinseraten ist ein inklusiver Auftritt mittlerweile Standard: Abgesehen davon, dass bei Bewerbungen in den USA kein Foto mehr mitgeschickt werden muss, bekommen Menschen mit Behinderung, Menschen egal welche Herkunft, Alter oder sexueller Orientierung, die gleiche Chance auf einen Job. Darauf müssen Unternehmen in den USA auch explizit hinweisen. Dieses vorbildhafte Selbstverständnis fehlt in Österreich leider noch. So gibt es hierzulande immer noch Internetauftritte von öffentlich zugänglichen Einrichtungen, die nicht durchgängig barrierefrei gestaltet sind. Es hat z.B. einige Zeit gedauert, bis die Informationen zum aktuellen Coronavirus entsprechend barrierefrei verfügbar waren. Digitalisierung, richtig gemacht, würde hier schnelle Adaptionen für PC, Laptop, Tablet oder Smartphone ermöglichen. Mittels Google Hangouts, Skype oder Facetime kann ich heute Menschen überall im Land erreichen, wenn es um spezielle Lerninhalte oder therapeutische Unterstützung, Notfälle, Seelsorge und dergleichen geht. Hier können Ideen für inklusive Projekte entstehen, von denen Menschen mit Behinderungen profitieren könnten.
Paradigmenwechsel
Wer früher seinen Job verloren hat, hat sich entweder etwas zu Schulden kommen lassen oder seine Firma ist bankrott gegangen. Dazu kommen Vorurteile wie „Wer arbeiten will, findet immer etwas“ oder „Wer nichts findet, ist einfach nur faul“. Das sind Stereotypen mit denen viele die gerade auf Arbeitssuche sind, noch immer zu kämpfen haben. Auf Grund von Automatisierungen brechen aber im administrative Bereich mittlerweile ganze Berufszweige weg. Im Bereich der Kundenpflege bereiten Marketingabteilungen entsprechende Kampagnen auf Basis automatisierter Umfragen vor. Die Autoindustrie ist seit jeher ein Vorreiter in Sachen Automatisierung. Ganze Produktionsketten werden mittlerweile am PC überwacht und perfektioniert. Weltweit verfügbare Angebote im Handel (Amazon), Unterhaltungsbranche (Netflix) oder der Touristikbranche: Überall bleiben Menschen sprichwörtlich über und bilden das neue digitale Prekariat. Die „Shrink to Fit“- Situation des digitalen Zeitalters bedingt die Neuorientierung großer Teile der Gesellschaft. Dort wo der Computer die besseren analytischen Daten bereitstellt, gehen abermals Arbeitsplätze verloren. Eine Chance sehe ich darin, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Wenn es uns gelingt, über alle Grenzen hinweg kreativ zu kommunizieren, entsteht Energie. Es reicht nicht, Inklusion zu predigen, sie muss auch gelebt werden”.
Informationen über den Autor Paul Zawilensky: LinkedIn, Whatchdo