„Die blaue Reisetasche war so schwer, dass sie kaum zu tragen war. In ihr transportierte ich das Tier, ich hatte es Emil genannt. Es fraß vorwiegend Luft. Einmal überfraß es sich, sodass es mehr als ich wog. Ich stellte die Tasche auf dem Gehsteig ab, und schaute unauffällig um mich. Auffallen, das mochte ich nicht“, schreibt Gabriele Müller in ihrem poetischen Text „Emil“ mit dem sie den diesjährigen „Fit for Life Literaturpreis“ gewonnen hat. Die Auszeichnung wird seit 2017 vergeben und richtet sich an schriftstellerisch tätige Menschen, die professionelle Hilfe für die Bewältigung beziehungsweise Bearbeitung ihres Sucht- oder Alkoholproblems in Anspruch genommen haben.
Der Preis möchte die literarischen Ambitionen und Fähigkeiten von Menschen fördern, für die das literarische Schreiben einem tiefen Ausdrucksbedürfnis entspringt und das darüber hinaus eine bewusste Auseinandersetzung mit ihrer Alkohol- oder Suchterkrankung fördert. Initiatoren des Preises sind der Psychiater Harald David und Kurt Neuhold vom Grünen Kreis.
Der „Fit for Life Literaturpreis“ wurde heuer auch wissenschaftlich begleitet. Erste Ergebnisse der an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien durchgeführten Studie zeigen, dass das schriftstellerische Schreiben eine wichtige Bereicherung für die eigene Identitätswahrnehmung ist: „Eine positive Verbindung zur Literatur – ob durch Lesen oder Schreiben in der Kindheit – ermöglicht es im Erwachsenenleben auf diese Ressource zurückzugreifen“, sagt Studienleiterin Birgitta Schiller. Die Texte, die 2021 eingereicht wurden, sind vorwiegend autobiographisch: „Diese literarischen Streifzüge sind Offenbarungen, die nur diejenigen erzählen können, die diese Erfahrungen gemacht haben“, sagt Schiller. Das ließe jeden Text besonders, berührend, verstörend, amüsant, tiefgehend, aber vor allem verbindend werden. „Die Leserschaft geht in Resonanz und in Kontakt mit den Schreibenden. Es wird nie nur für sich allein geschrieben und dadurch wird schon beim Verfassen eines Textes ein Kontakt mit anderen aufgebaut“, so Schiller. All diese Komponenten, allen voran das „In Beziehung gehen“ ermöglichen es, mit Lebensherausforderungen umzugehen und einen Anker im „Selbst“ zu setzen. Das schriftstellerische Schreiben könne jedoch nicht als therapeutische Intervention verstanden werden, da es einen inneren Impuls brauche: „Es ist wichtig, den Rahmen und den Raum für das literarische Schreiben zu schaffen, denn durch das Veröffentlichen der Texte kann ein Dialog mit der Welt geschehen“, sagt Schiller.
Weitere Texte des Fit for Life-Literaturpreises 2021 gibt es hier.