Gehen an der frischen Luft wirkt für die meisten von uns anregend. Der Kopf wird frei und die Bewegung schafft Raum für neue Ideen und Perspektiven. Die Teilnehmer:innen des jüngsten Schreibworkshops des Access Guide Magazins haben das ausprobiert und beim Spazieren den Blick abwechselnd nach außen und nach innen gerichtet:
Freyja*: „Im Gang ist es heiß, das mag ich nicht, rote Sprühmarkierungen auf der Straße erinnern mich an Graffitis – die mag ich, aber nur schöne wie die am Donaukanal zum Beispiel. Das Gras wächst und ist an manchen Stellen frisch gemäht. Wie das duftet – herrlich! Busse mit vielen Menschen auf der Straße, ich möchte nicht tauschen. Eine Krähe hüpft auf einem Busch auf und ab, das finde ich schön! Ich könnte sie stundenlang beobachten. Dahinter Riesen-Gebäude, sie schüchtern mich ein. Dunkle Wolken ziehen über meinen Kopf, hoffentlich fängt es nicht an zu regnen. Der Wind ist schon unangenehm genug.
Es ist ruhig und es riecht nach Essen. Eine Apfeltasche später sitze ich draußen im Kaufpark und beobachte Leute. Ich fühle mich etwas seltsam mit meinem Stift und dem Blatt Papier auf der Bank. Jetzt kommt die Sonne raus, es wird etwas wärmer. Soll ich noch in den kleinen Supermarkt gehen? Ich könnte T. einen Kakao mitbringen – das mach ich! Auf dem Weg zurück sehe ich eine Katze, weich und flauschig. Ich möchte ihre Freundin sein, sie streicheln! Gleich ist Pause und ich möchte T. sein Getränk geben. Bin gespannt, was er sagt. Zwei Frauen schieben plaudernd ihre Kinderwägen vor sich her“.
Simon*: „Im Innenhof spielt eine Kindergruppe. Huckepackträger ziehen vorbei. Die kindliche Verspieltheit ist erfrischend. Der nächste Hof ist leer. In der Entfernung hört man dennoch Menschen. Ich spüre Einsamkeit, die doch nur ein Schein ist. Auf der Brücke liegt eine zerbrochene Flasche. Mit meiner Hündin müsste ich da wirklich aufpassen. Ich bin hier oben alleine. Unter mir fahren die Autos, gehen Menschen. Ich finde hier oben meinen eigenen Weg. Wie viele Schicksale ich wohl kreuze? Ich steige hinab ins Grün. Es sind vereinzelte Spaziergänger unterwegs. Die Vögel zwitschern. Unter den Bäumen ist es beruhigend, erdend. Mir kommen Erinnerungen an Sommertage, an Spaziergänge mit meinem Hund im Wald. Das Stückchen von der Welt gehört gerade nur uns.
Überall steht der Löwenzahn, bereit seine kleinen Botschaften auszusenden. Ich trage meinen Teil dazu bei und puste. Wie in der Kindheit auf der Wiese. Aber ich schaffe es nicht mehr, alle Samen mit einem einzigen Blasen auf ihre Reise zu schicken. Die Halsschmerzen sind zu hartnäckig. Graue Wolkendecken hängen über mir, durchbrochen von Inseln aus Sonnenschein. Turbulent und abwechslungsreich, bedrohlich und hoffnungsvoll, wie mein aktueller Lebensabschnitt. Es wirkt bedrückend und befreiend, ist schwer einzuordnen. Pfeifend peitscht der Wind durch die Wohnhausanlage. Ich bin nicht adäquat angezogen, um der Kälte standzuhalten. Wie abends am Christkindlmarkt in Schönbrunn. Es fühlt sich an, wie aus einem anderen Leben.
Verschachtelt ziehen sich die Wege mit Bänken am Rand durch die Anlage. Bei wärmerem Wetter wären sie einladend. Ich fühle mich wie in einem Irrgarten und frage mich, was ich an der nächsten Ecke zu sehen bekomme. Ein kleines Abenteuer. Ich fühle mich, als würde ich Verborgenes erkunden. Sonne. Ich genieße die Wärme, die sie spendet. Der Wind kämpft mit ihr um mein Wohlbefinden. Zurück auf der Straße bin ich nun wieder Teil des Geschehens. Weiter hinten sehe ich die Brücke, die mir so eine andere Perspektive geboten hat. Ich fühle mich hier herunten trotzdem isoliert. Zurück in die Wärme. Gleich sehe ich die Leute wieder, die ich über die vergangenen Wochen und Monate kennengelernt habe. Gleich gibt es Kaffee. Ich freue mich schon“.
Clem (er/dey)*: „Bäume, Schildkröte, Mauervorsatz. Süße Blätter – herzig. Wohlig angenehm. Balkone mit Boden aus Holz oder Beton. Uneinheitlich, verschieden. Flieder mit und ohne Duft. Der helle Flieder duftet süßlich der andere gar nicht. Ich fühle mich frei und angenehm in der Übung. Mein Schuh ist blau und verfärbt. Wirkt gut eingegangen. Mein Jacke ist kräftig grün. Wolken ziehen auf. Ich dachte nicht, es würde wirklich regnen, aber jetzt kann ich es mir vorstellen. Einer der Flieder riecht wie Seife. Nicht gut. Einen weiteren Mauervorsprung zum Seiten auflegen und angenehm schreiben. Ich mag das. Mehr Architektur sollte perks wie diese haben. Nur Sitzgelegenheiten fehlen noch. Zwei Tauben werden eine, werden zwei, werden drei. Mir ist kalt. Hätte doch eine Schicht mehr anziehen sollen für die Übung. Ich sehe eine lila Blume, Tischtennis-Tische und eine Lacke über die der Wind streicht und die mich irgendwie ans Meer erinnert.
Ich möchte gern wieder reisen. Neue Dinge sehen und Sachen entdecken. Gut essen und Neues lernen. Das fehlt mir etwas. Hier stehen junge Bäume. Sie sind weiß angepinselt. Wenn sie mal groß sind, wird es schön und ich stell mir das herrlich vor. Ein Baum mit der Plakette 58. Haben alle Bäume eine Nummer? Der Skatepark wirkt klein und überschaubar. Der Sportplatz ist verlassen, ein Beach Volleyballfeld steht ebenso da. Die Sonne scheint, der Wind weht durch die Blätter der ausgewachsenen Bäume.
Ich bekomme Lust auf Sport. Ich wünschte ich wäre körperlich fit und könnte alles mögliche machen. Finde es ungerecht, dass ich das nicht kann. Ich habe mein Bestes gegeben, mich nicht mit Covid zu infizieren, aber es hat trotzdem nicht geklappt. Ich wünschte das Virus gäbe es nicht und wir könnten tatsächlich in eine Welt vor Dezember 2019 zurück. Hier ist ein Mistkübel mit Aschenbecher, ein Trinkbrunnen und Straßenlaternen. Der Sportplatz hat ein grünes Netz darüber gespannt.
Mir fällt ein, dass ich eine Weile nicht in Schönbrunn im Zoo war. Vielleicht schaffe ich es heute noch hin. Oder auch nicht, Energie wird vermutlich zu knapp sein und ich hab morgen wieder einen langen Tag. Zwei City Bikes stehen herum, circa fünf Meter von einander entfernt in der Wiese. Richtig angezogen wäre es jetzt schön Rad zu fahren“.
David Maria Cordoba*: „Der Zigarettenautomat: Wir befinden uns im Jahr 2242. Es ist Mittwoch. Xilofex liest ein Buch mit dem Titel ,Geschichte der westlichen Wohlstandsgesellschaft im 21. Jahrhundert`. Im Buch erfährt er unter anderem wie das Klima nicht gerettet werden konnte, wie Menschen noch immer Krieg führten und wie ein Suchtmittel viele Menschen in den Tod getrieben hat. Die Rede ist von sorgfältig ausgewählten, liebevoll aufgezogenen Pflanzen. Diese wurden einzig zu dem Zweck gepflanzt, um sie getrocknet zu verbrennen und einzuatmen. Dies wurde mit hochtechnologischen Geräten erreicht, die eine Flamme spendeten. Der Rauch, der dadurch entstand, wurde mit großem Genuss eingeatmet. Die Wirkung wird als beruhigend und stimulierend zugleich beschrieben. Xilofex wundert sich nur und schüttelt den Kopf. Die Menschen damals waren sehr seltsam, dachte er sich. Dann öffnete er sein Gehirncyberinterface und schloss sich an die Stressreduktionsmaschine an“.
*Namen geändert