Im Literaturbetrieb scheinen sich die Geschlechterverhältnisse tatsächlich verändert zu haben. Das legt zumindest ein Blick auf die aktuellen Romanen nahe: Die zehn größten deutschsprachigen Verlage veröffentlichten im vergangenen Frühjahr 70 Neuerscheinungen von Autorinnen und 69 von Autoren. Auch der Ruhm ist ist nicht länger nur Männersache. Seit 2013 haben immerhin fünf Frauen den Literaturnobelpreis erhalten. Die Redaktion des Access Guide Magazins hat diese erfreuliche Entwicklung zum Anlass genommen, drei Neuerscheinungen von Autorinnen zu lesen.
Vom Zauber der Dinge. Es gibt Menschen, die wohnen nicht nur, sondern sie werden von den Eigenarten ihres Hauses magisch angezogen. So geht es auch der Erzählerin in „Das Haus verlassen“, als sie ein vereinsamtes kleines Feldsteinhaus auf dem Lande bezieht. „Den Glücksmoment, als ich das Haus erwarb, werde ich nie vergessen. Ich tanzte auf dem Stuhl. Das Haus war damals in einem erbärmlichen Zustand. Es war komplett verwahrlost und verkannt. Die umliegenden Bauern lächelten müde, als ich das Haus erwarb. Bruchbude, sagten sie zu dem Haus. Ruine“, sagt die Erzählerin Jacqueline. Für sie ist das Haus keineswegs nur baufällig, sondern vielmehr eine neue Freundin, für die sie eigene Namen erfindet, wie „Die Schöne von Greith“, das „Kirschenschloss“ oder einfach „Das Daheim“. Als Jacqueline nach zehn Jahren trotzdem beschließt, ihr Haus zu verkaufen, muss sie feststellen: Man kann auch eine Haus-Beziehung nicht so einfach auflösen. Denn das Haus benimmt sich unerwartet widerspenstig. Das Buch von Jacqueline Kornmüller wurde von Kat Menschik illustriert. Das Besondere an diesem exquisiten Büchlein ist, dass sich Text und Bild wunderbar ergänzen und gemeinsam eine einzigartig poetische Geschichte erzählen. www.galiani.de
Schicksalhafte Ereignisse. Im Mittelpunkt von „Leuchtfeuer“ steht eine Familie, die ein schreckliches Geheimnis hütet. In einer Sommernacht 1985 verursacht der 15jährige Theo einen Unfall. Eigentlich hätte er gar nicht fahren dürfen, aber seine ältere Schwester Sarah, die hinten im Wagen sitzt, hat Bier getrunken und gibt ihm den Schlüssel. Vorne im Auto, neben Theo sitzt Misty, eine Freundin seiner Schwester. Theo fährt viel zu schnell und als er sich während der Fahrt eine Zigarette anzündet, verliert er die Kontrolle über den Wagen und kracht gegen eine alte Eiche direkt vor dem Haus seiner Familie. Misty wird durch den Aufprall getötet. Um den Bruder zu entlasten, behauptet Sarah, sie sei gefahren. Alle in der Familie wissen, dass das nicht stimmt, aber sie reden nicht drüber. Die Geschwister zerbrechen fast an der Last des Geheimnisses, das sie seitdem teilen, und selbst 20 Jahre später bestimmt es ihr Leben. Auch ihr Vater Ben, ein pensionierter Arzt, hadert mit seiner Rolle in jener furchtbaren Nacht. Doch als Bens Begegnung mit dem zehnjährigen Nachbarsjungen Waldo eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, droht das Geheimnis zu platzen und ihrer aller Leben in ungeahnte Bahnen zu lenken. Dani Shapiros Roman „Leuchtfeuer“ wurde zu Recht u.a. vom Time Magazine und der Washington Post zu einem der 10 besten Romane 2022 in den USA gekürt. Das Buch erzählt eine berührende Geschichte über Trauer und Traurigkeit und den Zauber von Seelenverwandtschaften. www.hanser-literaturverlage.de
Ketten der Herkunft. Zwischen Lev und Kato besteht seit ihren Kindertagen eine besondere Verbindung. Doch die Öffnung der europäischen Grenzen weitet ihre Lebensentwürfe und verändert ihre Beziehung für immer: „In allem gab es diese Dunkelstellen, wo die Erfahrung aufhörte und die Erinnerung anfing. Etwas blieb, und etwas ging verloren, manches schon im Augenblick des Geschehens, und wie sehr man sich auch bemühte, es tauchte nie wieder auf. Erinnerungen waren über die Zeit verstreut wie Lichtungen. Man begegnete ihnen nur zufällig und wusste nie, was man darin fand. Die eindrücklichsten Momente, das, was sich nicht verlor, gehörte einem nie ganz alleine. Die Angst gehörte einem alleine. Das Vergessen. Alles sonst, dachte Lev, bleibt nur durch andere gegenwärtig“, heißt es in dem Buch. Iris Wolff hat die Geschichte in den Landschaften ihrer Kindheit angesiedelt, in Rumänien, wo sie bis zu ihrer Übersiedelung nach Deutschland, lebte. Iris Wolff erzählt in ihrem neuen Roman „Lichtungen“ voller Schönheit und Hingabe von zeitloser Freundschaft und davon, was es braucht, um sich von den Prägungen der eigenen Herkunft zu lösen. www.klett-cotta.de