Depression ist zwar nicht ansteckend, fühlt sich aber so an, wenn man die Reaktionen anderer genau beobachtet. Menerva Hammad war selbst davon betroffen und kann heute nur so offen darüber reden, weil es vorbei ist. Im Interview mit dem Access Guide Magazin spricht die Autorin über die immer noch stark tabuisierte und stigmatisierte Krankheit.
Access Guide Magazin: In Deinem neuen Buch „Vom Muttertier zum Wunderweib“ schreibst Du auch über Deine Depressionen. Warum hast Du Dich entschlossen, das Thema öffentlich zu machen?
Menerva Hammad: Depression ist ein schwieriges Thema, das gesellschaftlich immer noch sehr stark stigmatisiert und tabuisiert ist. In manchen Kulturkreisen hat die Depression das Image einer „Luxuskrankheit“. Die üblichen Reaktionen darauf sind Ratschläge wie „Geh doch an die Luft“, oder „Reiß Dich zusammen“ und dergleichen. In dieser Hinsicht ist sie eine sehr unterschätzte Krankheit. Auf keinen Fall kann man sie mit „schlechter Laune“ vergleichen. Mir war es deshalb wichtig darüber zu schreiben. Ich war während meiner zweiten Schwangerschaft in einer depressiven Phase. Ich habe auch viele Interviews mit Frauen geführt, denen es ähnlich ergangen ist. Deshalb wollte ich darüber schreiben. Die Mutterschaft kann ein Tor zur Depression öffnen, vor allem in der ersten Zeit nach der Geburt. Viele betroffene Frauen bekommen dann zu hören „Stell dich nicht so an“ oder „Hättest halt keine Kinder bekommen“. Aber so einfach ist es nicht.
Access Guide Magazin: In den sozialen Medien wird oft ein geschöntes Bild der Wirklichkeit gezeichnet. Ernste Themen scheinen da keinen Platz zu haben. Wie waren die Reaktionen auf die Posts, in denen Du von Deiner Depression erzählt hast?
Menerva Hammad: Von außen werde ich häufig mit meinen lustigen und positiven Posts gleichgesetzt. Das stimmt so aber nicht ganz. Ich bin zwar eine lebensfrohe Person, aber ich kenne eben auch depressive Phasen. Es ist ja oft so, dass Leute, die in der Öffentlichkeit Komödianten sind, nicht selten depressiv sind. Berühmte Beispiele dafür sind Charlie Chaplin oder Robin Williams. Sie haben uns Comedy geschenkt, sind aber selbst daran erstickt. Ruhm und Geld schützten nicht vor Depression. In den sozialen Medien – aber auch generell – gibt es da so eine gewisse Scheinheiligkeit, die ich durchbrechen möchte.
Access Guide Magazin: Welche Symptome hattest Du und wie hast Du Dir Hilfe geholt?
Menerva Hammad: Ich habe bemerkt, dass ich weder lachen noch weinen kann. Das war sehr erschütternd für mich, weil ich ein sehr emotionaler Mensch bin, der oft weint und lacht, aber beides hat nicht mehr funktioniert. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade mit meiner zweiten Tochter schwanger und ich habe an meinem ersten Buch „Wir treffen uns in der Mitte der Welt“ geschrieben. Darin erzähle ich von Frauen aus der ganzen Welt, die viele Schicksalsschläge erlebt haben, darunter von einer Genitalverstümmlerin, die später zur Sexualberaterin wurde oder von einer jungen Dame, die wie durch ein Wunder aus ihrer Zwangsehe entkommen ist. Weil ich die Lebensgeschichten möglichst authentisch wiedergeben wollte, habe ich die Ich-Form gewählt. Das hat mich sehr belastet. Noch dazu war mein Hormonhaushalt durch die schwierige Schwangerschaft ziemlich unaufgeräumt. Ich lebte damals mit meinem Mann und meiner erstgeborenen Tochter in Schottland und habe mich entwurzelt gefühlt. Wir wechseln häufig den Wohnort, wodurch ich auch die Jahre davor kein Gefühl von Sesshaftigkeit hatte. Insgesamt war alles zu viel für mich. Eines Abends bin ich mit meinen Einkäufen nach Hause gekommen und dann sind plötzlich die Einkaufssackerl gerissen und das Obst ist die Stiegen hinuntergerollt. Was andere Menschen mit einem Achselzucken abtun, war für mich das Ende der Welt. Ich bin zusammengebrochen. In dem Moment ist meine japanische Nachbarin heimgekommen und hat mich gefragt, ob sie mir helfen kann. Ich kannte sie bis dahin nur vom Grüßen. Dann habe ich erfahren, dass sie Psychotherapeutin ist und ihre Praxis nur ein paar Häuser entfernt. Das war ein Glück, mir passieren solche Dinge oft, ich nehme sie dann aber auch an. So habe ich eine Gesprächstherapie bei meiner Nachbarin begonnen.
Access Guide Magazin: Wie ging es dann weiter?
Menerva Hammad: Ich habe eine klassische Gesprächstherapie gemacht. Das hat mir geholfen, meine Gedanken zu ordnen, das war sehr wichtig. In der Therapie konnte ich auch einige Erlebnisse aus der Vergangenheit aufarbeiten und besser einordnen. Wir haben auch große Themen wie Mutterschaft oder Frausein besprochen und darüber nachgedacht, welche Definitionen es da gibt und was uns alles prägt. Die Therapie hat ein gutes Jahr gedauert und auch jetzt nehme ich bei Bedarf die Hilfe der Therapeutin in Anspruch. Wir leben momentan zwar in Abu Dhabi, aber per Zoom geht das auch von hier aus.
Access Guide Magazin: Was würdest Du anderen Betroffenen raten?
Menerva Hammad: Hilfe holen wäre leicht gesagt, aber das ist gar nicht so einfach, weil in Österreich nicht genug Plätze für eine Therapie auf Krankenschein vorhanden sind. Ich hatte Glück, weil mir meine Psychotherapeutin einen Freundschaftspreis gemacht hat, was zwar auch teuer war, aber gerade noch leistbar und auf Ratenzahlung möglich. Aber ich weiß, dass viele Betroffene nicht so privilegiert sind. Sich Hilfe holen, machen Frauen sowieso eher, als Männer. Das ist so wie bei „Nach dem Weg fragen“. Das ist also nicht das Problem. Mein Appell richtet sich vielmehr an das österreichische Gesundheitssystem: Es braucht ein flächendeckendes und leistbares psychotherapeutisches Angebot für alle, die es brauchen. Und was mir noch sehr wichtig ist, ist die Gleichstellung von physischen und psychischen Erkrankungen.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch!
Bücher von Menerva Hammad:
Wir treffen uns in der Mitte der Welt