Liebevoller Vater und wütender Hassposter: Paul ist beides, und als er im Netz bloßgestellt wird, kämpft er um seine Würde, Familie – und sein Leben. Mit der Geschichte von Paul Sarianidis gelingt Vladimir Vertlib in „Zebra im Krieg“ ein meisterhaft ironischer, jedoch stets von Zuneigung und Humanität erfüllter Blick in menschliche und politische Abgründe.
Paul lebt mit seiner Familie in einer von Unruhen und Instabilität heruntergewirtschafteten osteuropäischen Stadt am Meer. Als der Flugzeugingenieur arbeitslos wird, verstrickt er sich immer tiefer in die wüsten Debatten, die in den Sozialen Medien toben. Er ist regelrecht süchtig danach, zu kommentieren und sein Ton wird zunehmend rüder. Immer wieder versucht Paul den Verzicht, aber jedes Warten auf die Straßenbahn wird zur Herausforderung, „die Fahrt selbst zum Martyrium, wenn er nur noch einmal kurz hineinschauen wollte, wusste er, dass er demnächst wieder in den Ring steigen würde. Aber er konnte nicht anders“. Die Veränderungen bleiben auch seiner Familie nicht verborgen. Seine Frau erklärt ihm, er entwickle sich zu einem Menschen, der er niemals gewesen sei. Und dann kommt es zu einer schmerzhaften Kollision mit der Wirklichkeit: Der Rebellenführer Boris Lupowitsch, den Paul im Internet heftig bedroht hat, lässt ihn zum Verhör holen. Lupowitsch rechnet mit ihm vor laufender Kamera ab. Paul wird verhöhnt und gedemütigt und macht vor lauter Angst in die Hose. Das Video wird millionenfach gesehen und Paul kommt als der „Pisser“ zu zweifelhaftem Ruhm. Wie kann er mit dieser Schande weiterleben?
Die persönliche Tragödie des Hassposters Paul ist auf´s engste mit dem Schicksal seines Landes und seiner Stadt verwoben. Es tobt ein Bürgerkrieg: „Im Nachbarviertel hat die Grundschule einen Volltreffer abbekommen. Es gab Tote und Verletzte. Wie konnte es zu diesem Krieg kommen der von den Behörden immer noch als Aufruhr bezeichnet wird … als eine erweiterte Polizeiaktion“. Vladimir Vertlib beschreibt eine Gesellschaft im Ausnahmezustand, ein zerstörerisches System, in dem toxische Männlichkeit ungebremst regiert. Verfolgungen, Demütigungen, Lüge und Korruption stehen an der Tagesordnung, egal welche Seite gerade an der Macht ist. Trotz der fast beängstigenden Aktualität des Romans, der durch den Ukrainekrieg längst von der Realität eingeholt wurde, gelingt es dem Autor auch ein Bild der Hoffnung zu zeichnen. Denn in seiner Familie findet Paul Rückhalt und Liebe. Gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Frau und der Teenager-Tochter Lena schafft Paul die Wandlung vom Saulus zum Paulus und macht so einmal im Leben das Richtige.
Vladimir Vertlib, geboren 1966 in Leningrad. 1971 emigrierte die Familie nach Israel, dann nach Italien, Holland und die USA, bevor sie sich 1981 in Österreich niederließ. Er studierte Volkswirtschaftslehre und lebt seit 1993 als Schriftsteller in Salzburg und Wien. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Essays sowie zahlreiche Artikel. 2001 erhielt er den Adelbert von Chamisso-Förderpreis sowie den Anton Wildgans Preis. Vertlib schrieb u.a. den Roman „Lucia Binar und die russische Seele“, der 2015 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand. Am 7. April 2022 liest Vladmir Vertlib um 19 Uhr in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien. Die Veranstaltung wird auch als Livestream übertragen.