Der niederländische Künstler Tim ter Wal ist fasziniert von labyrinthischen Industrielandschaften, detailreichen Gebäudeansichten und komplexen Stadtarchitekturen. Er entwickelt Präzisionszeichnungen aus seinem nahezu fotografischen Gedächtnis. Dreamscapecity ist die erste Einzelausstellung von Tim ter Wal in Österreich. Die Österreichische Gesellschaft vom Goldenen Kreuze präsentiert damit bereits zum zweiten Mal einen hoch spannenden Maler der Outsider-Szene.
„Ich zeichne seit meinem dritten Lebensjahr“, erinnert sich Tim ter Wal bei der Eröffnung seiner Ausstellung in der Gesellschaft vom Goldenen Kreuze. Für seine exakten Bilder von still gelegten Stahlwerken, Hochöfen, oder Raffinerien braucht er keine fotografische Vorlage: „Mein Gedächtnis ist meine Kamera“, sagt der Niederländer. „Als Kind bin ich mit meinen Eltern oft an den Stahlwerken von Ijmuiden vorbeigefahren, wenn wir meinen Großvater besucht haben. Diese industriellen Landschaften haben mich schon damals unglaublich fasziniert“, beschreibt Ter Wal. Auf Papier gebracht hat sie der Künstler, erst ein Viertel Jahrhundert später. Seit 2014 nimmt der 35-Jährige regelmäßig an Ausstellungen teil. Unterstützt wird er dabei von seinem Agenten Raymond Landegent. Die Kuratorin der ersten Wiener Ausstellung von Tim ter Wal ist Angela Stief.
Ter Wal beschäftigt sich mit den Errungenschaften der Moderne und dem Fortschritt der Zivilisation. Hoch konzentriert und scheinbar unermüdlich bringt er die visuellen Spuren, die die Außenwelt in sein Gedächtnis gebrannt hat, mit Bleistift auf Papier. „Zeichnen ist für mich wie meditieren: Ich verschmelze mit dem, was ich tue“, beschreibt der „Präzisionszeichner“, wie er sich selbst nennt, sein Talent. Zeichnen klärt sein Gemüt. Er weiß, dass viele Leute meinen, Autismus sei eine Wahrnehmungsstörung, doch er betrachtet ihn als Geschenk.
Ter Wals Werke, die häufig in Vogelperspektive dargestellt sind, vereinen den Mikro- mit dem Makrokosmos. Sie zeigen architektonische Strukturen, die sich im Auge des Betrachters zu abstrakten Ornamenten verwandeln, utopische Welten und dystopische Szenerien. Manchmal zeichnet der Autodidakt auch fantastische Bilder, mystische Naturlandschaften mit Fabelwesen und gleißendes Licht, das durch Fugen in das Innere von Räumen fällt. Häufig schweben Wolken, die aussehen wie weiße Watte, am Himmel und krönen die aufwendigen Meisterwerke. Am liebsten jedoch zeichnet er Ölraffinerien, Stahlwerke und Chemiefabriken.
No Hope No Future
Man kann diese Bilder auch als zivilisationskritische Kommentare lesen: „No Hope No Future“ hat er auf ein Blatt inmitten von rauchenden Schornsteinen und Kohleöfen geschrieben. Häufig schildert ter Wal auch Innenansichten von Fabriken, zeigt Fließbänder, Zahnräder und komplexe Rohrsysteme. Diese minutiös dargestellten Netzwerke maschineller Produktion reflektieren den osmotischen Austauschprozess von Innen- und Außenwelt und die künstlerische Entstehung, die immer gleich abläuft: Ter Wal beginnt seine Zeichnungen in der linken unteren Ecke und arbeitet sich sukzessive in den rechten oberen Teil des Blattes vor. Er verwendet immer A3 große Papiere, die er manchmal auch zu größeren Bildern aneinanderfügt. Er nutzt weder Lupe oder Lineal, noch macht er Vorzeichnungen. Stattdessen verlässt er sich ganz auf sein nahezu fotografisches Gedächtnis, eine innere Bildergalerie, in der selbst Jahre alte Details abgespeichert sind, und seine eigenhändigen Fähigkeiten.
Die Österreichische Gesellschaft vom Goldenen Kreuze präsentiert zweimal jährlich einen Künstler oder eine Künstlerin der sogenannten Outsider-Szene. Dreamscapecity ist die erste Einzelausstellung des niederländischen Künstlers Tim ter Wal in Österreich, die in Zusammenarbeit mit dem Maison Savant, Rotterdam, entstanden ist. Die Ausstellung in der Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen Kreuze ist noch bis 15. August 2019 zu sehen.