Angststörungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Neben einer genetischen Vorbelastung oder neurobiologischen Faktoren können auch negative Lebensereignisse wie Todesfälle oder Trennungen Panikattacken auslösen.
Ein sonniger Vormittag in Favoriten. Birgit* schmiert Butterbrote. Ihre beiden großen Kinder helfen dabei. Das Baby schläft. Plötzlich beginnt Birgits Herz zu rasen. Um ihren Brustkorb legt sich eine eiserne Hand. Sie glaubt, zu ersticken, ihr ist schwindlig, sie stürzt zum Fenster und reißt es auf: „Nur nicht ohnmächtig werden, nur nicht umfallen“, denkt sie. Die Stimmen der Kinder scheinen unendlich weit weg: „Mama, was hast du?“. Birgit weiß keine Antwort. Sie hat Todesangst. Birgit ruft ihren Mann an: „Du musst sofort heimkommen, ich hab einen Herzinfarkt“. In der Notaufnahme wird die damals 35-Jährige gründlich untersucht. Ohne Ergebnis. „Das war meine erste Panikattacke“. Eine Vielzahl weiterer sollte folgen.
Panikattacken treten plötzlich und ohne erkennbaren äußeren Anlass auf. Die Betroffenen fürchten zu sterben oder die Kontrolle zu verlieren. Die oft dramatischen körperlichen Angstsymptome, wie Herzrasen, Atemnot oder Brustschmerzen können die zugrunde liegende Angststörung lange Zeit verdecken. So auch bei Birgit: „Nach jeder Attacke habe ich mich komplett durchuntersuchen lassen. Die Befunde waren jedes Mal hervorragend. Das hat mich dann eine Zeitlang beruhigt – bis zum nächsten Anfall“.
Jede Angsterkrankung hat ein individuelles Erscheinungsbild und ist nur im jeweiligen biografischen und sozialen Zusammenhang zu verstehen. Eine Behandlung ist auf jeden Fall dann notwendig, wenn die Angst eine deutliche Behinderung darstellt, durch äußere Bedingungen nicht hinreichend zu erklären ist und durch eigene Bewältigung nicht gelöst werden kann. Häufig treten Panikstörungen in Kombination mit Agoraphobie auf – der Angst davor raus zu gehen. Den Betroffenen fällt es schwer, ihre vertraute Umgebung zu verlassen. Die Meidung der Außenwelt und der Rückzug auf den Wohnraum hindert Menschen mit Agoraphobie dann an einfachsten, alltäglichen Notwendigkeiten, wie etwa einen Aufzug zu benutzen, einkaufen zu gehen oder mit der U-Bahn zu fahren. Dazu kommen bei vielen Betroffenen noch Depressionen, den Angst und Depression sind einander verwandte Emotionen, die oft gemeinsam vorkommen, aber getrennt verstanden und behandelt werden müssen. Beide rühren an die Grundängste des Menschen. Beide erschüttern das Vertrauen und die Kraft zur Hoffnung. Angst wird als Ausdruck der Hilflosigkeit in Belastungen und Konflikten gesehen, Depression darüber hinaus als Bestätigung der Aussichtslosigkeit aller Bemühungen.
Existentieller Schwindel
Angst ist an sich eine lebensnotwendige Reaktion. Sie ist immer sowohl körperlich als auch psychisch wahrnehmbar. Die Angst erstreckt sich auf alle Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Verhaltensbereiche des Menschen. Angst als Alarmsystem ist dem körperlichen Schmerz vergleichbar: Während der Schmerz vor Schädigungen des Organismus selbst warnt, greift Angst über das Individuum hinaus und richtet sich auf Bedrohungen der Außenwelt, der zwischenmenschlichen Beziehungen und umschließt oft auch metaphysische Dimensionen. Für den dänischen Philosophen Sören Kierkegaard (1833-1855) ist die Angst der Preis der Freiheit und ein Beweis für das geistige Wesen des Menschen: „Der, dessen Auge es widerfährt, in eine gähnende Tiefe hinunterzuschauen, wird schwindlig, aber was ist der Grund? Es ist ebenso sehr sein Auge, wie der Abgrund … solchermaßen ist die Angst der Schwindel der Freiheit, der aufsteigt, wenn der Geist die Synthesis setzen will und die Freiheit niederschaut auf ihre eigene Möglichkeit und die Endlichkeit sucht, sich daran zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Freiheit zusammen“ (aus: Kierkegaard, Sören, Der Begriff Angst).
Diesen Schwindel und das damit verbundene Gefühl, den Boden unter den Füssen zu verlieren, kennt Hannes* aus eigener Erfahrung: „Nach meiner Scheidung bekam ich plötzlich Panikattacken“, erinnert sich der 40-Jährige. „Das erste Mal ist es auf der Mariahilfer Straße passiert. Meine Knie sind weich geworden und ich konnte mich nicht mehr bewegen. Mir war schwindlig und ich hatte Angst, mich selbst zu verlieren und verrückt zu werden“, erzählt Hannes. In der Folge entwickelte er Vermeidungsstrategien: „Ich bin nicht mehr auf überfüllte Einkaufsstraßen oder in große Geschäfte gegangen – stattdessen habe ich bei einem kleinen Greißler eingekauft“, beschreibt Hannes.
Sowohl Hannes als auch Birgit ist es erst mit therapeutischer Hilfe gelungen, ihre Panikattacken in den Griff zu bekommen. Während sich Birgit bei einer Verhaltenstherapeutin gut aufgehoben fühlte, entschied sich Hannes für eine Personenzentrierte Therapie. Unabhängig von der Wahl der therapeutischen Richtung glauben Birgit und Hannes, dass letztendlich der zwischenmenschliche Faktor entscheidend für den Erfolg der Behandlung war. „Die Chemie muss stimmen“, sind beide überzeugt.
*Namen von der Redaktion geändert.