Die Zeit, in der wir leben, mutet uns viel zu. Globale Ereignisse wie Pandemie und Klimakrise führen zu zunehmender Spaltung der Gesellschaft, zu Vertrauensverlust und verursachen in weiterer Folge Angst, Trauma und Leid. Umso wichtiger ist es, dass wir uns jetzt wieder auf eine unserer Grundtugenden besinnen, die uns emotionale Stärke gibt: Mut. Indem wir mutig sind und andere ermutigen, können wir uns mit dem Geschehenen versöhnen, Barrieren überwinden und die Zukunft positiv gestalten.
Was braucht es aber dazu, mutig zu sein und andere zu ermutigen? Die interdisziplinäre pro mente Fachtagung Mut in brüchigen Zeiten setzte sich zum Jahresauftakt mit der Grundtugend Mut aus verschiedenen Blickwinkeln auseinander. So wurde u.a. die Rollen von Medien und Politik für eine mutige Gesellschaft betrachtet. Den Auftakt der Veranstaltung machte die Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig, Sie zeigte auf, wie in Zeiten der Desinformation Vertrauen gefördert und Mut gestärkt werden können: „Wir leben in verunsicherten Zeiten und diese Verunsicherung geht so weit, dass manche Menschen glauben, alles sei eine Erfindung“, so Brodnig. Das Wort der Verschwörungszirkel dafür laute „Plandemie“. Es suggeriere, dass die Corona-Pandemie etwas Geplantes sei. Bei der Pandemie gehe es um Überwachungspläne. Bei diesen und ähnlichen Falschmeldungen lese man einen Vertrauensverlust mit. Allen gemeinsam sei auch eine „Heilsbotschaft“, das Versprechen einer einfachen Lösung für die Coronapandemie. Brodnig stellte die Frage, warum Desinformation in Krisenzeiten so gut funktioniere und worin die Anziehungskraft von Falschmeldungen liege. Ein Grund dafür sei die sogenannte Confirmation Bias. „Die Falschmeldungen sind so gestrickt, dass sie Menschen erzählt, was sie hören wollen“, erklärt Brodnig, denn „wir nehmen jede Information, die uns bestätigt, eher für wahr, als eine die uns widerspricht“. Gerade in einer Pandemie beinhaltet die Anziehungskraft von Falschmeldungen auch ein Wunschdenken: „Die Falschmeldung ist manchmal auch die schönere Erzählung – aber eine problematische Erzählungsstrategie, denn die Wirklichkeit wird schwarz/weiß und Vorurteile werden bestärkt“, sagt Brodnig. Es gebe einen Schuldigen und dadurch eine simple Antwort darauf, was falsch läuft.
Menschen, die eine Nähe zu Falschmeldungen haben, ziehen einen Mehrwert daraus, indem sie andere, die nicht ihrer Meinung sind als „Schlafschafe oder Mitläufer“ beleidigen. Zu sehen ist das am Aufruf der Verschwörungstheoretiker, ohne Maske einkaufen zu gehen. Auf entsprechenden Illustrationen sind Schafe mit Masken zu sehen, nur der „stolze Löwe“ trägt keine. „Das ist Selbsterhöhung bis hin zum kollektiven Narzissmus. Falschmeldungen und Verschwörungstheorien geben Halt. Dafür gibt es relevante Motive: Verschwörungsmythen geben eine schlüssige Erklärung der Welt. Zudem sei Gewissheit viel attraktiver, als Ungewissheit“, erklärt Brodnig. Menschen, die Kontrollverlust spüren, kriegen Halt durch Verschwörungsmythen, weil sie glauben, mehr zu wissen als andere. Verschwörungstheorie passiere stark auf der emotionalen Ebene und liefere so Bestätigung, Wunschdenken und ein persönliches Stärkegefühl.
Die Faszination für Verschwörungstheorien hat Brodnig auch in Gesprächen mit Aussteigern untersucht, darunter Anja Sanchez Mengeler. „Als sie Teil der Szene war, hat sie das Gefühl gehabt, sie tue etwas Wichtiges“, sagt Brodnig. Der Weg von Sanchez raus aus der Szene sei ein langer gewesen. Geholfen habe ihr der beständige Kontakt zu ihrer Schwester, die beharrlich sanften Widerspruch angemeldet habe. Die beiden Frauen hatten abseits der Verschwörungstheorien auch „normale“ Themen. Das habe Sanchez aus ihrer Welt rausgeholt. Wer in der Szene ist, sieht überall Gefahr. „Die Schwester hat ihre Meinung eingebracht und geschaut, dass die Bindung nicht verloren geht. Es ist einfach, aber auch sehr schwierig“, so Brodnig. Auch im professionellen Umfeld sei das schwierig. Der Erfolg von Desinformation zeige Vertrauenslücken. Im eigenen Umfeld könne man auf dem Vertrauen, das vorhanden ist, aufbauen. „Wenn Leute sagen, du bist ein Schlafschaf, wird man vielleicht mit Covidiot kontern. Beschimpfungen lösen aber den sogenannten Nasty-Effekt aus, der auf Polarisierung abzielt“. Deshalb seien Beschimpfungen im Umgang mit Verschwörungstheoretikern auf alle Fälle zu vermeiden. Wenn ein Vertrauensverlust in die Wissenschaft da ist, gibt es dennoch Umwege. Man müsse überlegen, wen hat diese Person noch, dem sie vertraut. Wer vereint Vertrauen und Expertise? Wer wie Anja Sanchez aus der Verschwörungsszene aussteigen will, brauche viel Mut, denn „es koste viel Anstrengung, die Komplexität der Welt anzuerkennen, die Welt auch in Grau sehen. Da können wir einzelnen Menschen helfen, indem wir die Bindung aufrecht erhalten und dranbleiben“, so Brodnig abschließend.
Ingrid Brodnig, geb. 1984, ist Autorin und Journalistin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft, ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der Umgang mit Desinformation und Hasskommentaren. Sie hat fünf Bücher verfasst, zuletzt „Einspruch! Fake News und Verschwörungsmythen kontern”.