Dejan* sitzt im Schneidersitz auf zwei alten Reifen vor der Werkstatt seines Onkels. Gerade hat der letzte Kunde des Tages sein Auto abgeholt. Genüsslich zieht der KFZ-Mechaniker an seiner Zigarette und öffnet eine Dose Bier zum Feierabend: „Diese Laster sind mir noch geblieben“, grinst er, aber davon will er auch noch loskommen. Bei seiner Spielsucht ist ihm das gelungen. „Die Automaten waren mein schlimmstes Verhängnis. Ich war total fixiert darauf. Die Sucht war teilweise mächtiger als Hunger und Durst oder das Bedürfnis zu schlafen und sie hat mich unendlich viel Geld gekostet“, erinnert sich der 35-Jährige.
Was fasziniert einen erwachsenen Mann an tanzenden Früchten, Zahlen, Mumien oder Fantasiefiguren, die im Eiltempo über den Bildschirm rattern, bis drei oder mehr Symbole gleichzeitig auftauchen und der Automat „was hergibt“? „Es ist die Geschwindigkeit, die Möglichkeit auf einen Drücker ganz viel Geld zu machen. Dabei fließt Adrenalin pur in den Adern“, beschreibt Dejan. „Man spielt wie in Trance. Das Leben außerhalb der Spielhalle wird langweilig. Am Anfang sind es nur kleine Beträge. 50 Cent sind der niedrigste Einsatz. Aber der steigert sich immer schneller. Zum Schluss habe ich nur noch 100er oder sogar 500er in den Automaten gesteckt.“ Hin und wieder gab es auch Gewinne: „Aber nie mehr als 10 000 Euro. Und fast nie bin ich damit heimgegangen. Ich hab weitergespielt, bis auch das gewonnen Geld wieder weg war“. Dejans Spielkarriere dauerte über zehn Jahre. In Summe hat ihn die Sucht eine halbe Million Euro gekostet. „Dabei hatte ich noch Glück. Ich habe nie aufgehört zu arbeiten und ich hatte Rückhalt in der Familie. Ich kenne aber viele, die ihre Jobs verloren haben und nie wieder aus diesem zerstörerischen Strudel rausgekommen sind“.
Bei Dejan blieben viele Freundschaften auf der Strecke. „Mit Mitte 20 haben die ersten meiner Freunde geheiratet und bald Kinder bekommen. In meiner Community ist das so üblich, wir haben alle Wurzeln am Balkan. Meine Eltern sind schon in den 70er Jahren als Gastarbeiter nach Wien gekommen. In diesem Umfeld wird bis heute ein sehr traditionelles Familienbild gelebt. Wer mit 30 noch nicht unter der Haube ist, gehört nicht dazu“, erzählt Dejan. Obwohl „richtig ausgeschlossen habe ich mich im Grunde selbst, weil mir die Automaten lieber waren, als die vermeintlich heile Familienwelt meiner Freunde. Es hat mich immer unter Druck gesetzt, selbst so leben zu müssen. Bei den Automaten konnte ich das alles hinter mir lassen“, sagt Dejan.
Manchmal helfen Verbote
Bis 2015 waren die Spielautomaten in Wien mehr oder weniger flächendeckend vorhanden: „Sie haben überall geklimpert – auf Tankstellen oder in Kaffeehäusern. Für uns Süchtige war das wie ein Sirenengesang, dem man unbedingt folgen muss. Bis in den Untergang“. Dann trat in Wien das Verbot des kleinen Glücksspiels in Kraft: „Das war für mich und viele andere Spieler im Grunde eine Erleichterung. Ohne dieses Verbot wäre es mir wahrscheinlich nicht gelungen, aufzuhören“, glaubt Dejan. „Ich habe einmal ein Interview mit einem Suchtexperten gelesen, der das Gefühl beim Automatenspielen mit einem Kokainrausch verglichen hat. Das kann ich nur bestätigen. Der Teufel liegt nicht im Schnaps, sondern im Automaten“.
Trotz des Verbots des kleinen Glücksspiels, brauchte Dejan noch mehrere Anläufe um endgültig von der Sucht wegzukommen: „Im Prater Casino ist das Automatenspiel ja noch erlaubt. Aber dort muss man sich mit Ausweis registrieren. Das hat mich eine Zeitlang abgeschreckt. Dann bin ich aber doch wieder rückfällig geworden. An einem Abend hab ich sofort wieder 10 000 Euro verspielt. Nachdem das Geld weg war, hab ich bis Mitternacht gewartet, um noch einmal 400 Euro beim Bankomaten abzuheben. Ich wollte das, was ich verloren hatte, wieder zurückgewinnen – das war natürlich eine Illusion. Und wie ich da so steh` mitten in der Nacht vor dem Prater-Bankomaten, der auch noch in einem riesigen Plastikschwein eingebaut ist, bin ich mir auf einmal so jämmerlich vorgekommen. Ich hab das Geld eingesteckt und bin heimgefahren. Am nächsten Tag hab ich die 400 Euro wieder auf mein Konto eingezahlt und bin zurück ins Pratercasino um mich selbst sperren zu lassen – für immer.“ Beratung, Behandlung/Therapie für Spielsüchtige und Angehörige Spielsüchtiger bietet u.a. die Spielsuchthilfe Wien
Das Therapiefachbuch Spielsucht von Gerhard Meyer und Meinolf Bachmann zählt zu den wichtigsten Standardwerken zum Thema glücksspielbezogenes Suchtverhalten. Anhand zahlreicher Fallbeispiele werden Fragestellungen und Therapieschritte praxisnah beschrieben. Das Buch erschien 2017 bereits in vierter Auflage: Für viele Menschen bietet das Spiel um Geld eine anregende Form der Unterhaltung, die problemlos in das Alltagsleben integriert ist. Einige Spieler verlieren jedoch die Kontrolle über ihre Spielteilnahme und entwickeln eine glücksspielbezogene Störung. Als Folge der weltweiten Expansion des Angebots ist die Anzahl der Betroffenen in den letzten Jahrzehnten gewachsen, verbunden mit einem exponentiellen Zuwachs wissenschaftlicher Publikationen. Zahlreiche Forschungsbefunde belegen inzwischen, dass es sich um eine Suchterkrankung handelt. Das Buch greift die Befunde und eigene Erfahrungen im Umgang mit Spielsüchtigen auf und spannt einen Bogen von theoretischen und therapeutischen bis hin zu präventiven Perspektiven. Den übergeordneten Rahmen gibt dabei das Suchtkonzept vor.