Laut Behindertengleichstellungs-Gesetz sind seit dem Jahr 2016 Diskriminierungen durch Barrieren verboten. Das bedeutet unter anderem einen stufenlosen Zugang. In der aktuellen Studie des ÖZIV Bundesverbands zeigt sich: im Vergleich zur letzten Studie ergaben sich auf den Wiener Einkaufsstraßen in Sachen „Zugänglichkeit für Alle“ insgesamt keine Verbesserungen. Eine erstmals zusätzlich durchgeführte Umfrage unter Menschen mit Behinderungen unterstrich die Mängel bei der Barrierefreiheit.
Bereits zum vierten Mal untersuchte der ÖZIV die Barrierefreiheit von Geschäftslokalen auf den wichtigsten Wiener Einkaufsstraßen (in der aktuellen Studie wurden Daten in 13 Wiener Einkaufsstraßen erhoben – beispielsweise Mariahilfer Straße, Kärntner Straße und Graben, Landstraße, Josefstädter Straße usw. Erstmals erhoben wurden Daten in der Thaliastraße, Rotenturmstraße und Meidlinger Hauptstraße). Besonderes Augenmerk wurde auf einen stufenlosen Zugang zu den Geschäftslokalen gelegt. Insgesamt wurden 2.326 Geschäftseingänge erfasst – die Erhebungen führte das Team von ÖZIV ACCESS gemeinsam mit dem Institut Phönix Project durch. Ergänzt wurde die Studie mit einer Online-Umfrage, die sich ausschließlich an Menschen mit Behinderungen richtete, welche die Wiener Einkaufsstraßen kennen und nutzen. 187 Personen nahmen an der Umfrage teil.
Das Ergebnis der Studie insgesamt ist ernüchternd. Nur 41,7% der Geschäfte waren stufenlos zugänglich (Ergebnis vor 2 Jahren: 44,6% stufenlos), bei mehr als 15% der Lokale waren sogar zwei oder mehr Stufen zu überwinden. Im Vergleich zur letzten im Jahr 2018 durchgeführten Studie gab es damit keinerlei Verbesserung. Insgesamt waren die Zahlen sogar schlechter, dies ergibt sich aber in erster Linie durch die neu erhobenen Straßen. ÖZIV-Generalsekretär Rudolf Kravanja zu den aktuellen Ergebnissen: „Es ist ernüchternd, dass es seit unserer ersten Studie aus dem Jahr 2014 so gut wie keine Fortschritte bei der Barrierefreiheit gibt.” Die Kommunen seien hier aufgefordert, entsprechende Initiativen zu setzen, um allen Menschen ein barrierefreies Einkaufserlebnis zu ermöglichen. Leider seien auch die rechtlichen Möglichkeiten eingeschränkt: „Menschen mit Behinderungen können zwar Schlichtungen einleiten und bei Nicht-Einigung vor Gericht ziehen, aber einen Rechtsanspruch auf Herstellung von Barrierefreiheit gibt es leider nicht. Hier ist auch der Gesetzgeber aufgefordert, weitreichende Verbesserungen zu schaffen. Sonst ändert sich nie etwas“, sagt Kravanja.
Schlusslicht Thaliastraße – Mariahilfer Straße Spitzenreiter bei Barrierefreiheit
Die Studie brachte große Unterschiede auf den unterschiedlichen Einkaufsstraßen zutage. In der Mariahilfer Straße gab es mit 67,5% stufenlosen Eingängen das beste Ergebnis. Das zweitbeste Ergebnis erzielten Kärntner Straße/Graben mit 60% stufenlosen Geschäftszugängen, auf den nachfolgenden Plätzen folgten Favoritenstraße (54,4%) und Rotenturmstraße (50,9%). Am letzten Platz landete die Thaliastraße, wo gar nur 24% der Geschäfte stufenlos zugänglich sind. Nach wie vor sehr schlecht um Barrierefreiheit bestellt bleibt es auch auf Josefstädter Straße (24,2% stufenlos), Alser Straße (27%) und Ottakringer Straße (28,3%).
Auch im Branchenvergleich zeigen sich erhebliche Unterschiede: besonders gut waren wieder Apotheken (76,7% stufenlos) platziert, dahinter folgten Banken/Post (70%) und Lebensmittelhandel (55,7%). Unzufriedenstellend bleibt die Situation in der Branche Körperpflege/Friseure (nur 21,3% stufenlos) und in der Gastronomie (32,8%).
Auch die Ergebnisse der Online-Umfrage (Erhebungszeitraum: 21.8.2020 – 19.11.2020) unterstreichen, dass es bei der Barrierefreiheit noch viel Luft nach oben gibt. Es bedarf hier vermehrter Anstrengungen der Einkaufsstraßen bzw. der Geschäfte, denn Menschen mit Behinderungen wollen überwiegend beim stationären Handel einkaufen – die Mehrheit (50,4 Prozent) der Befragten lehnte es (eher) ab online einzukaufen, nur 16% gaben an, lieber Online einzukaufen.
Mit überwältigender Mehrheit (81,6%) berichten die Befragten über Diskriminierungs-Erfahrungen beim Einkauf und beschweren sich über die mangelnde Sensibilisierung des Personals. 87,5% wünschen sich aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen von den Geschäften bzw. vom Handel mehr Bewusstsein für Barrierefreiheit. Auch Politik bzw. die Bezirke seien gefordert mehr auf die Umsetzung von Barrierefreiheit zu drängen (84%).
Dabei ließen sich viele Mängel bei der Barrierefreiheit leicht beseitigen und die Wünsche der Teilnehmer*innen der Umfrage sind keineswegs utopisch: Die überwiegende Mehrheit der Befragten wünschte sich sensibilisiertes und „ausreichendes Personal, sodass es Ressourcen für persönliche Unterstützung gibt.“ Damit könnte eine Mehrzahl von Diskriminierungen verhindert werden. „Menschen sind „barrierefreier“ als Geschäfte – Schulungen wären noch zu intensivieren. Dadurch tritt Bauliches in den Hintergrund.“
Bei der Umfrage wurde auch nach der besten barrierefreien Einkaufsstraße gefragt: am häufigsten wurde die Mariahilfer Straße genannt (gesamt 50 Nennungen). Als schlechteste barrierefreie Straßen wurden die Josefstädter Straße, die Landstraße, die Thaliastraße identifiziert. Hier decken sich Studie und Umfrage ziemlich genau.
Detailergebnisse der Gesamt-Studie
Zusammenfassung in Einfacher Sprache