Das Kremser Festival Glatt&Verkehrt bietet ab Mitte Juli neun Tage lang mit dichtem Programm eine Bestandsaufnahme davon, was Musizieren auf der Basis von Traditionen heute bedeuten kann.
Das Lied bleibt. Unter diesen Titel stellen Festivalleiter Albert Hosp und Kurator Johann Kneihs die 27. Ausgabe des Festivals Glatt&Verkehrt. „Überall auf der Welt geschieht es: Menschen, die ihre Stimme erheben, laufen Gefahr, inhaftiert oder vertrieben werden. Aber die Botschaft selbst lässt sich nicht einsperren. Im Englischen gibt es dazu ein Sprichwort: The Singer, not the Song“, sagt Albert Hosp, künstlerischer Leiter des Festivals. Rund um dieses Sprichwort ranke sich, so Hosp auch das Programm 2023: „Mit den Geschichten wird immer wieder auch Geschichte erzählt. Die Dringlichkeit hängt dabei nicht davon ab, ob ein:e Künstler:in aus einem der großen aktuellen Krisengebiete oder einer Region, die weniger in den Schlagzeilen ist, kommt. Von einem anregenden Konzert beglückt und gleichzeitig von der Message aufgerüttelt heimzugehen: Solche Erlebnisse möchten wir ermöglichen.“
Neben der Kraft des Erzählens spinnt sich ein weiterer roter Faden durch das Programm: „Die Mitte liegt ostwärts“, sagt der Historiker Karl Schlögel, und so führt Glatt&Verkehrt mit vielen Künstler:innen, die hier ihr Österreichdebüt feiern, nach Osten von unserer unmittelbaren Nachbarschaft bis nach Vorderasien, von der Slowakei über die Türkei bis in den Iran.
Das Festival startet traditionell im Schloss zu Spitz und lädt am 14. Juli zu einer Reise in die Slowakei mit dem Singer-Songwriter Martin Geišberg und der Band Balkansambel (14.07.), tags darauf macht es in Rumänien Station, wenn Corina Sîrghi și Taraful Jean Americanu (15.07.) die Stimmung der Salons und der Vororte von Bukarest, dem „Paris des Ostens“, evoziert. Am 27.07. wird der rasante „Bulgarian Wedding“-Sound von Ivo Papasov zum ersten Mal über die Winzer Krems hereinbrechen. Alte und neue Lieder aus der Ukraine bringen die Sängerinnen vom Duo Kurbasy (28.07.) in einem Doppelkonzert, das sie sich mit den griechisch-türkischen Musiker:innen Derya Türkan & Sokratis Sinopoulos teilen. Kurbasy singen zwar von allgemein Inhalten, die sich vor allem auf Natur und Umwelt beziehen, aber im aktuellen Kontext werden die Worte zu hochpolitischen Lyrics. Die israelische Band El Khat (28.07, Bild ganz oben) spielt Musik aus dem Nahen Osten, wobei die yemenitische Herkunft des Leadsängers eine wichtige Rolle spielt. Der letzte Festivaltag gehört unter anderem iranisch-persischen Musikideen, wie dem Ensemble Atine (30.07.)
Das Festival hört aber nicht nur nach Osten, sondern auch in alle anderen Himmelsrichtungen: Bia Ferreira (26.07.) ist eine der maßgeblichen neuen Stimmen in Brasilien, die mit ihrer „Igreja lesbiteriana“ ein flammendes Plädoyer für Diversität und die LBGTQ+-Community ihres Landes auf die Bühne bringt. Nils Landgren (30.07.), der große Posaunist und Vokalist aus Schweden, erzählt Geschichten, die der Jazz schreibt, in gelassenem, berührendem Tonfall. Aus Finnland kommt Désirée Saarela, die sich in ihren Songs unter anderem der konfliktreichen Beziehung von Russland und Finnland, aber auch der schwedisch-sprachigen Minderheit befasst; mit ihr treten Hannah James (UK), die viele noch von Glatt&Verkehrt 2020 in Erinnerung haben werden, und Lylit, die österreichische Soul-Stimme sondergleichen, zur Trio-Premiere (27.07.) an.
Kein Glatt&Verkehrt ohne Premieren mit starker heimischer Beteiligung also: Das Trio Zur Wachauerin (26.07.) gönnt sich zum 20. Geburtstag eine „extended version“ und widmet sich dem 100. Geburtstag von Hank Williams. Uli Soyka (29.07.) schwelgt im üppigen Schlagzeug-Sound mit zwei Kolleg:innen. Und auch das Rahmenprogramm fällt wieder üppig aus: Drei Tafelmusiken (27., 28. und 29.7.) präsentieren im Wirtshaus Salzstadl traditionelle Musik aus Österreich von ganz jungen Ensembles. Die Musikwerkstatt in Stift Göttweig erarbeitet mit einem internationalen Referenten:innen-Team das Festival-Thema vermittelnd pädagogisch. Sara Zlanabitnig und Mona Matbou Riahi Solo (30.07.) erfüllen, jeweils solistisch, den Klangraum Krems Minoritenkirche mit ihren wunderbaren Sounds (Doppelkonzert). Künstler:innengespräche gibt es an allen Tagen der Winzer-Konzerte jeweils eine Stunde vor Konzertbeginn im Kinosaal vor Ort. Festival Glatt&Verkehrt