Neigungsgruppe Alkohol

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Mein Name ist Peter Pan. Natürlich heiße ich nicht wirklich so, das war eine Idee meiner Tochter. Mir gefällt der Name, weil er mich an meine Kindheit erinnert. Da war alles noch gut. Jetzt bin ich schon seit mehr als zehn Jahren in psychatrischer Behandlung. Der Grund dafür ist meine bipolare Erkrankung. Seit ich geschieden bin, ist mein Leben eine Achterbahn: Ich schwanke zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. In welche Richtung das Pendel ausschlägt und warum, lässt sich meist nicht begründen. Die Schübe kommen und gehen, ohne dass ich darauf Einfluss nehmen könnte. Ich nehme Trittico und Lamictal. Durch diese Medikamente und meine 14-tägigen Besuche bei einer Psychiaterin habe ich die Erkrankung größtenteils in den Griff bekommen – ganz heilbar ist sie nicht. Wichtig ist, dass ich ausreichend Schlaf bekomme. Vor kurzem hat mir meine Ärztin den Vorschlag gemacht, in eine Gesprächsrunde zu gehen, um mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Obwohl ich skeptisch war, hab ich es versucht.

Therapeut Stefan bittet uns in einen Raum in dem fünf Sessel im Kreis aufgestellt sind. Die anderen Leute sind schon da. Rein äußerlich schauen sie aus wie du und ich: keine Anzüge, keine Miniröcke, keine Sandler – sie zahlen ja für die Stunde, weil die Krankenkasse das nicht finanziert. Heute sind Isabella, Michaela, Georg, Karl und Irene anwesend. Die Teilnehmer duzen einander, der Gruppenleiter wird gesiezt. „Na bravo, denke ich, gleich einmal die Hierarchien festlegen.“ Trotzdem fühle ich mich den anderen nicht verbunden. Ich habe nichts mit diesen Leuten gemeinsam. Ich würde lieber woanders sein. Ich schalte auf Autopilot. Ich schau mir selbst dabei zu: Da sitzt ein dunkelhaariger, düsterer Typ, der sich hinter seinem Zynismus versteckt. Dann bin ich dran und stell mich vor: „Meine Erkrankung dürft ihr erraten“, sage ich zum Schluß. Isabella tippt ohne Umschweife: „Du bist bipolar, ich kenne das aus eigener schlechter Erfahrung“. Dann spricht Michaela über ihre Probleme: „Ich leide unter einer Alkoholiker-Familie und muss mich um meine 70-Jährige Mutter kümmern, mit den anderen Familienmitgliedern pflege ich aus obigen Gründen so gut wie keinen Kontakt.“

Karl ist hier weil er berufliche Probleme hat: „Ich kann und will mich meinen Vorgesetzten nicht unterordnen. Das führt zu Aggressionen, die ich ab und an laut und deutlich artikulieren muss, weil ich sonst Magengschwüre bekommen würde“. Irene wird die Gruppe bald verlassen, weil sie ihre Medikamente seit kurzem abgesetzt hat und damit ihr Therapieziel erreicht ist. Gerald leidet unter Informationsüberschuss. „Ich bin von in der Früh bis vor dem Schlafen ständig online und mit dem Lesen von Zeitungen beschäftigt“. Er fungiert in der Gruppe als ausgleichender Moderator. Georg liegt seit einem Jahr im Clinch mit Isabella. Sie zeigt ihm ihre Abneigung sehr deutlich. Wenn Georg sie anspricht, dreht sich Isabella von ihm weg und verschränkt die Arme vor ihrem Körper. Alle Schlichtungsversuche der anderen Gruppenmitglieder sind bisher gescheitert.

Ich rate den beiden: „Ihr seid jetzt seit einem Jahr in der Gruppe und könnt einfach nicht miteinander. Ich würde die Gruppe sofort verlassen, weil sich mein Zustand unter diesen Gesichtspunkten eher verschlechtern als verbessern würde“. Darauf meint Isabella, dass sie das sicher nicht tun werde, weil sie nie nachgeben möchte und ihm seinen Triumpf nicht gönnen möchte. Daher wird zu einem anderen Thema übergegangen: Auf meine Frage, ob es üblich sei, dass sich die Gruppenteilnehmer nach der Gesprächsrunde auf ein Bier in einem Lokal treffen, wird verneint. Gruppenleiter Stefan meint, dies sei nicht gewüncht, weil alle Probleme in der Gruppe verbleiben sollten. Damit war eine meiner Ambition, mit den anderen Mitgliedern Kontakt zu pflegen, gegessen. Mein anderes Ziel lautete, meinen Zynismus anderen Personen gegenüber los zu werden. Der einzige, den ich in dieser Gruppe symphatisch finde, ist Karl. Er pflegt seinen Zynismus genau wie ich. Deshalb ist er der einzige, mit dem ich gerne Kontakt hätte. Der Rest der Gruppe interessiert mich nicht. Sie lassen mich völlig kalt, mir fehlt die Empathie. Nach der Stunde passe ich Karl ab. Wir gehen in ein abgesandeltes Cafe, in dem die Rauchwolken in der Luft stehen. Nach vier Krügel kommen wir uns näher: Und kommen zur selben Erkenntnis: Künftig werden wir das Therapiegeld in ein paar Gerstensäfte und Zigarren investieren. Illuminiert und glücklich fahren wir heim.