Wie sieht eine Welt aus, in der alle Menschen ihren Platz finden können – egal wie oder wer sie sind und was sie ausmacht? Nicola Heissig, Praktikant beim Access Guide Magazin hat sich das vorgestellt:
„Ich war in einem Laden mit meiner Mutter und meinem Bruder. Ich war noch jung, vier Jahre alt vielleicht. Wir waren gerade dabei, den Einkauf für die Woche zu erledigen. Ich streifte im Geschäft umher und sah mir die verschiedenen Waren an. Ich kam vorbei an Lebensmitteln, an Kleidung und schließlich an den Hygieneartikeln. Dort begriff ich etwas, das mir zuvor nicht klar gewesen war: Die Absurdität mancher Warengeschichten. „Mama, wieso stellen Leute Klopapier her? Man entscheidet sich doch nur für eine Arbeit, wenn sie dem eigenen Lebenstraum entspricht – warum ist es von jemandem der Traum, Klopapier zu machen?“
Ich konnte diese vermeintliche Widersprüchlichkeit nicht verstehen, doch mir wurde erklärt, dass es da um etwas anderes ginge, als um die Verwirklichung eines Traums. Den genauen Wortlaut meiner Mutter weiß ich nicht mehr, denn (daran kann ich mich noch gut erinnern) mich hat diese Antwort nicht zufrieden gestellt, weil sie eine weitere Frage nach sich zog: Warum sollte jemand nach etwas anderem im Leben streben, als nach der Verwirklichung seines persönlichen Traums?
Im Laufe der vergangenen 20 Jahre mehrten sich solche Erlebnisse und veranlassten mich dazu, mir immer wieder die Fragen zu stellen: Welches Potential steckt in dieser Welt? Wie könnte sie aussehen, wenn wir anders handelten? In welche Richtung sollten wir uns als Kollektiv bewegen? Ich glaube fest daran, dass wir in einem Universum leben, das uns für integres Verhalten belohnt, wir uns selbst aber eine Welt geschaffen haben, die uns für selbiges Verhalten bestraft. Meine diesbezügliche Haltung ist: Es bedarf keiner technisch orientierten Lösungen, denn diese gibt es schon zuhauf. Was wir als Gesellschaft brauchen, ist ein kollektiv gefördertes Bedürfnis nach Ehrlichkeit, gelebten Werten und Integrität.
Die Welt, wie sie sein könnte
Ich gehe unseren Stadtweg entlang – barfuß. Denn Wiesen gibt es so weit das Auge reicht und um den Müll wird sich so gewissenhaft gekümmert, dass ich nicht Gefahr laufe, mich an Glasscherben oder rostigen Nägeln zu verletzen. Doch es ist leichter, heutzutage, den Müll in Zaum zu halten, denn unserer Philosophie nach soll schon das bloße Entstehen von Müll unterbunden werden.
Die alte Welt war verkopft. Die alte Welt war ausgerichtet auf Profit materieller Natur. Vergessen hat sie auf die Bedeutung einer Seele, vergessen auf Strukturen innerhalb der Gesellschaft, die die Seele nähren. Heute läuft alles anders und zwar so: Wir sind verwöhnt von nur den besten Forschern und Technikern, denn jeder findet in seiner Entwicklung auf klaren Wegen zu jenen Tätigkeiten, die ihm tatsächlich liegen, weil es eben jene Tätigkeiten sind, die mit Interesse und Talent einhergehen, denn wir wissen: Wer mit Begeisterung arbeitet, schafft bessere Ergebnisse. Es wird sich nicht mehr selbst aufgegeben um des Profits der Geldgeber wegen.
Ja, es gibt auch heute noch Menschen, die wohlhabender sind und jene, die weniger haben. Doch es gibt keine Armut mehr. Ein System hat sich etabliert, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Klingen der Schere zwischen Arm und Reich wieder zusammenzuführen. Die Idee eines Grundeinkommens musste der Idee einer Grundbedürfniserfüllung weichen. Denn wir holen auch jene Menschen mit ins Boot, die unfrei geworden sind in ihrer eigenen Entscheidungsfähigkeit. Wer einem Heroinsüchtigen Geld für seine Miete in die Hand drückt, darf sich nicht wundern, wenn dieser es veruntreut, um seine Sucht zu stillen – denn er ist nicht mehr frei. Und so stünde er wieder da ohne Brot und ohne Dach über dem Kopf. Menschen mit einer Suchtproblematik werden nicht bestraft, sondern zur Hilfe verpflichtet.
Nein, solch alibihafte Scheinhilfe lehnen wir heute ab, denn der Mensch hat begriffen: Dem Einzelnen geht es nur gut, wenn es allen anderen Einzelnen gut geht. So richten wir uns diesbezüglich und in allen anderen Themen, mitunter, auch nach den Weisheiten alter Völker, die eine ungebrochene Gemeinschaft als Selbstverständlichkeit leben. Die Zentralisierung von Macht wird aufs Schärfste unterbunden. Anarchismus ist ein Wort, das positiv assoziiert wird, doch leben wir ihn nicht. Unsere Devise ist, organisierte Kontrolle in einem Maß beizubehalten, das den Nährboden für ein Maximum an Anarchie und ein Minimum an staatlicher Vorgabe ermöglicht. Dieses Minimum jedoch wird ausnahmslos eingehalten, denn es ist der Schlüssel zur individuellen Freiheit. So gibt es starke Kontrollstellen, die ihrerseits kontrolliert werden durch die Summe des Individuums.
Auf staatliche Prüfungen, die belegen sollen, ob ein Betrieb auch ordnungsgemäß agiert, wird verzichtet, doch gibt es die klare Verpflichtung, allen Gästen Tür und Tor zu jedem Raum des Betriebs offen zu halten. So kann jeder Einzelne entscheiden, ob er sich einer vermeintlich mangelnden Hygiene aussetzen will oder nicht. Wir fördern die Selbstbestimmung und die Schulung des eigenen Wahrnehmungsapparats. Eine Infiltration staatlicher Strukturen durch machtzentralisierende, sich zu Gruppen zusammenschließende Einzelpersonen wird tunlichst vermieden, denn der Staat fordert Wohlhabende, wie Einzelpersonen, auf, ihm genau auf die Finger zu schauen. Lobbying gibt es nicht mehr und die Gesellschaft wird animiert, sich selbst stark ins politische Geschehen miteinzubringen.
Die Städte sind nicht mehr überfüllt und sie sind klar unterteilt in Bezirke und diese wiederum in, sich der Form eines Kreises annähernde, Örtchen. Von einem Ende eines Örtchens kann man zu Fuß das andere Ende erreichen. Jedes Örtchen hat gewisse Auflagen zu erfüllen, wie etwa die des freien Zugangs zu Anbauflächen in Wohnhausnähe. Oder die, eines Vorhandenseins eines Gemeinschaftsraums mit Internetzugang in jedem Wohnhaus. Denn ein eigenes Smartphone besitzt der Mensch nicht mehr. In jedem Örtchen gibt es mindestens eine Nähstelle, zu der die Bewohner ihre alten Stoffe bringen können. So entsteht kein neuer Müll und es wird jedem die Möglichkeit gegeben, sich spontan in eine Nähstelle zu setzen und dort mit fremden Stoffen die eigene Kleidung zu nähen oder zerschlissene alte Kleidung zu erneuern.
Um jedes Örtchen herum gibt es einen schmalen Wald, der als Schalldämmung fungiert, zwischen der Straße, die sich nur außerhalb und rundherum jedes Örtchens befindet und den bewohnten Bereichen. Bei der Auswahl der Pflanzen, aus denen der Wald besteht, entschied man sich für Obstbäume, Beerensträucher, Kräuter und Gewürze. Wer Lust hat, kann pflücken oder pflegen kommen und wem der gar nicht mehr so übermäßige Trubel der Stadt zu viel wird, der findet eine Entspannungsoase ebenfalls in der Ruhe des Waldes.
Die Straßen außerhalb verbinden die verschiedenen Örtchen und Bezirke miteinander und münden in größere Straßen, die wiederum die Staaten miteinander verbinden. Wer mit Transportmitteln reisen möchte, darf das tun, doch man reist außerhalb der bewohnten Gebiete, um innerhalb derer eine lebensfreundliche Atmosphäre zu erhalten. Mietautos stehen auf einem Parkplatz bereit, ebenfalls außerhalb des Wohngebiets. Es ist erlaubt, Arbeitsstellen anzunehmen, die sich außerhalb jenes Örtchens befinden, in dem man selbst aktuell wohnhaft ist, doch der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, die Fahrtzeit als reguläre Arbeitszeit zu entlohnen.
Dem modernen Menschen ist es nicht nur wichtig, auf soziale- oder Umweltwerte zu achten, sondern auch, dass das Dogma dabei vermieden wird, denn wir wissen, dass Freiheit ein Grundbedürfnis ist, das jedem innewohnt. Deshalb haben wir Strukturen geschaffen, die zwar die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich gesellschaftsförderndes Verhalten etabliert, doch letztendlich bleibt es jedem Einzelnen selbst überlassen, ob er diese Strukturen in Anspruch nehmen möchte oder nicht, solange er sich im Rahmen der, die Grundrechte bewahrenden Gesetze bewegt. In diesem Falle eines längeren Arbeitsweges hat nie der Einzelne zu zahlen, sondern die Institution. Denn Institution bedeutet viele Einzelne, bedeutet Macht, bedeutet mehr Möglichkeiten, bedeutet weniger Gefahr der Armut anheim zu fallen.
In der Schule wird darauf geachtet, den Schülern in einem Pflichtfach beizubringen, was zum Überleben und Kommunizieren unumgänglich ist, doch alles was darüber hinausgeht, dürfen die Schüler in Form von Wahlpflichtfächern selber wählen. Es wird die Strategie verfolgt, Individuen dabei zu fördern, in ihrer Bedürfnisbeschaffung zu selbstständigen Menschen zu werden. So spürt jeder Einzelne einen hohen Grad an Freiheit und der Staat wird in seiner Unterstützungsfunktion entlastet.
Eine ideale Gesellschaft ist eine, in der Einzelpersonen der Hilfe des staatlichen oder globalen Kollektivs nicht mehr bedürfen. Unsere Grundwerte sind: Transparenz, Kommunikation, Selbstbestimmung, Flexibilität, Natürlichkeit und Ehrlichkeit. Wir haben gelernt, dass die Natur uns bietet, was wir unbedingt zum Überleben brauchen und mehr noch: Sie verwöhnt uns mit einem seelischen Luxus, den wir in der alten Welt durch Verstand, Zweifel und Technik zunichte gemacht haben. Wir denken nicht mehr, wir fühlen und erkennen. Wir zweifeln nicht mehr, wir glauben und vertrauen. Wir arbeiten nicht mehr unerbittlich am technischen Fortschreiten, sondern an einem Voranschreiten, denn heute wollen wir nicht mehr fort von etwas, nein, uns geht es ums Vorankommen hin zu etwas. Wir wollen vorankommen im Akzeptieren der Realität wie sie ist“. Bild ganz oben: Morpheus’ Traum © Nicola Heissig