Barocke Pracht im Augarten oder brutalistische Architektur am Georgenberg: Die Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen, haben im Rahmen des Sommerschwerpunkts „Gehen“ die Stadt erkundet. Durch hügelige, grüne Außenbezirke führte der Spaziergang von Bruno* und Thea*. Ihre Route verlief entlang von Weingärten den Georgenberg hinauf bis zur architektonisch eindrucksvollen, in den 1970er-Jahren erbauten Wotrubakirche „einem Meisterstück brutalistischer Architektur“, schreibt Bruno, der die Kirche davor schon dreimal besichtigt hat: „Thea und ich fuhren kurz nach neun mit dem 60 A bis zur Anton Krieger-Gasse und gingen von dort aus über das Freilicht-Planetarium zur Kirche. Entgegen meinen Vorurteilen, gefiel Thea das Bauwerk und sie fotografierte es auch sofort.
Bis heute frage ich mich, warum die Kirche dort im Nirgendwo gebaut wurde. Ich glaube die Antwort zu kennen: Es gab in Österreich nach 1945 (und eigentlich bereits davor, man denke nur an Mahler) immer ein Problem mit Moderne jeglicher Art. Und da Fritz Wotruba, der eigentlich Bildhauer war, sich eine der kompromisslosesten Kirchenbauten einfielen ließ, musste man das Gebäude gut verstecken. Es dauerte auch zwölf Jahre von der Planung bis zur Verwirklichung. Eigentlich ein Wunder, dass das Ding dort überhaupt steht. Kaum jemand von den Bewohnern der Wiener Innenstadt und der Bezirke am anderen Ende der Stadt, wird sich wohl freiwillig die Fahrt da hinaus antun, nur um ein Meisterwerk der brutalistischen Architektur anzusehen. Und so sind vorübergehend alle zufrieden, bis irgendwann wieder jemand den Abriss fordert.
Ach ja, eigentlich sollten wir übers Gehen, unsere inneren und äußeren Beobachtungen und Empfindungen und Eindrücke schreiben. Hatte ich die? Erinnerlich ist mir nur das Schwitzen im Bus und während des Spaziergangs und eine Radfahrerin, die uns zwei wohl irgendwie interessant fand, da sie, mitten im Wald hin und her und wiederholt an uns vorbeifuhr. Eigentlich ging ich nur an einem Ort jemals wirklich gern und das war in Frankreich – egal wo ich da auch war: es geht sich dort anders.
Nach einer kurzen Pause bei der Kirche begaben wir uns ein paar Meter entfernt davon auf einen schmalen Weg in den Wald und gingen einfach los. Schnell war entschieden – zugegeben nur von mir – von der vorgegebenen Route abzugehen und einfach spontan irgendwelchen Wegen zu folgen. Zwei Stunden lang hielten wir uns nur im Wald auf und begegneten dabei lediglich fünf Menschen und vielen Schmetterlingen, die Thea besonders begeisterten. Ich selbst war vor allem eines: gelangweilt! – Ich mag Wald nicht, habe mich als Kind und Jugendlicher daran sattgefühlt und – gesehen. Diese Abneigung war einer der Gründe nach Wien zu ziehen – wobei ich mich vielleicht vorher über Wienerwald und Co. informieren hätte sollen. Aber das ist eine andere Geschichte. Irgendwann kamen wir bei einer alten Mauer an und ich vermutete gleich, dass das die Grenze zum Lainzer Tiergarten sein könnte. Die Frage war jetzt: in welche Richtung sollten wir gehen? Es gab in die eine den Planetenweg mit Ziel in 5300 Meter und einen mit 700 zu bewältigenden Metern – die Entscheidung war schnell getroffen. Wir entschieden uns für den kürzeren Weg und spazierten entlang der Mauer bis zur Wittgenstein-Straße und weiter nach Mauer. Dort gibt es einen kleinen Hauptplatz mit einer parkähnlichen Grünfläche. Nachdem wir in einem Supermarkt Getränke gekauft hatten, legten wir uns in die gefederten und sehr gemütlichen Liegestühle und hielten Siesta in dem kleinen Park. Ich rauchte und trank und ruhte mich aus, Thea schlief ein wenig – glaube ich. Kurz nach eins machten wir uns dann auf den Weg zurück in die Anton-Baumgartner-Straße, wo dann von den unterschiedlichen Eindrücken erzählt wurde. Die gesamte Route gibt es hier.
Barrierefrei am Donaukanal
Tom* und Senta* spazierten von der Spittelau in den Augarten. Die Tour ist barrierefrei und kann problemlos mit einem Rollstuhl oder einem Kinderwagen gemacht werden. Sowohl im Park, als auch am Kanal gibt es zahlreiche Möglichkeiten im Schatten zu rasten. Tom schreibt: „Im Augarten war es wegen der vielen Bäume sofort um einige Grad kühler, was sehr angenehm war, weil wir davor ständig in der Sonne waren. Wir spazierten an den Flaktürmen aus dem zweiten Weltkrieg vorbei. Besonders gut gefielen uns die wunderschönen Blumen im Zentrum des Parks. Wir entdeckten auch eine Art Sägewerk für Mulch, wo es sehr streng roch. Über den Ausgang am Gaußplatz gelangten wir wieder zum Donaukanal zurück. Der Wasserstand im Kanal war wegen der Unwetter der vergangenen Tage deutlich höher und zudem ziemlich braun durch all den hochgewirbelten Schlamm. Trotzdem machten wir eine kurze Pause auf einer der Bänke entlang des Kanals. Nach dieser erholsamen Rast brachten wir das letzte Stück des Weges hinter uns um uns zu guter letzt etwas erschöpft, doch auch zufrieden in der U-Bahn niederzulassen und zurück ins Institut zu fahren. Der Spaziergang hat uns sehr gut gefallen, es hat Spaß gemacht draußen zu sein und die Welt um uns herum bewusst wahr zu nehmen“.
Senta erinnert sich an „die Kinderstimmen auf dem Spielplatz im Park und das ferne Rauschen des Verkehrs im Rhythmus der Ampelphasen, dazu die sanft variierenden Luftbewegungen, die den Geruch von erhitztem Asphalt und nassem Sand bringen. Tiefer drinnen im Park riecht es nach Zigarrenrauch und ein wenig säuerlich nach Säuglingen. Die Stimmen aus einem nahen Gastgarten vermischen sich mit dem Geplätscher eines Springbrunnens zu einem diffusen Summen. Dazu gesellt sich das unregelmäßige Klatschen eines Volleyballs, der von der Haut abprallt. Gelegentlich gurrt eine Taube. Wieder Stimmen von Kindern im Volksschulalter, die Ball spielen“. Die Wegbeschreibung gibt es hier.
*Namen geändert