Das Leben von Frauen mit Behinderungen ist von Mehrfachdiskriminierungen geprägt. Es ist daher höchste Zeit für tiefgreifende Maßnahmen zu ihrer Gleichstellung. Im Vorfeld des Weltfrauentages 2020 zeigen sechs Expertinnen mit Behinderungen den Weg in eine Zukunft, in der Frauen mit Behinderungen sichtbar, sicher und selbstbestimmt leben. Gabriele Sprengseis (Österreichischer Behindertenrat) präsentierte heute gemeinsam mit Christine Steger (Unabhängiger Monitoringausschuss), Jasna Puskaric (WAG), Isabell Naronnig (ZEITLUPE), Julia Moser (myAbility/ Forum für Usher Syndrom und Taubblindheit) und Beate Koch (ÖZIV Steiermark) die fünf dringlichsten Forderungen der Frauen mit Behinderungen.
2018 wurde das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen im Österreichischen Behindertenrat gegründet. Was als Austauschgremium begann, wurde zur Basis für Projekte und Know-How-Aufbau zur Situation von Frauen mit Behinderungen. Die Resonanz auf die im März 2019 veröffentlichte Expertinnenliste von Frauen mit Behinderungen sowie auf die Konferenz zu Frauen mit Behinderungen im September 2019 war überwältigend und bestätigte den Weg. „Wir Frauen mit Behinderungen haben unsere Erfahrungen miteinander geteilt und erkannt, wieviel in Österreich im Argen liegt. Jetzt ist es an der Zeit, Forderungen zu stellen“, unterstreicht Gabriele Sprengseis.
Lebensrealitäten sichtbar machen
Auf Podien, Bühnen, in Medienberichten, in Leitungsfunktionen und in Gremien überwiegen Männern mit und ohne Behinderungen. Für Frauen mit Behinderungen ist die ‚gläserne Decke‘ noch nicht einmal in Sicht. Deshalb fordern sie Sichtbarkeit für ihre Expertise, ihre Lebensrealitäten und die erfahrenen Diskriminierungen. Dafür braucht es gesellschaftliche, ökonomische und räumliche Rahmenbedingungen, damit die aktuellen Barrieren fallen. Frauen mit Behinderungen sind Expert*innen – nicht nur in eigener Sache, sondern auch auf ihren Fachgebieten. Es braucht strukturelle Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Frauen mit Behinderungen auf Podien, Bühnen, in Leitungsfunktionen und Gremien vertreten sind. Um ihre Lebensrealitäten sichtbar zu machen, ist auch die Erhebung aussagekräftiger Zahlen und Daten nötig.
Ein Leben ohne Gewalt
Frauen mit Behinderungen erleben im Laufe ihres Lebens um ein Vielfaches öfter Gewalt als Männer mit Behinderungen und als Frauen ohne Behinderungen. Die Erfahrungen erstrecken sich von physischer, psychischer und sexualisierter bis hin zu struktureller Gewalt. Informationen zu den eigenen Rechten, Empowerment und Selbstbestimmung sowie sexuelle Aufklärung sind wesentliche Faktoren zur Gewaltprävention. Es braucht österreichweit verfügbare, unabhängige Peer-Beratung für Frauen mit Behinderungen zu allen Lebensthemen aber vor allem zu psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt
Selbstbestimmt durch persönliche Assistenz
Der Zugang zu Persönlicher Assistenz zeigt ein deutliches Gefälle zwischen Stadt und Land. Frauen mit Persönlichkeit, die im ländlichen Raum leben, trauen sich vielfach nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie sich schämen. Das kann aber fatale Folgen haben, wie etwa Isolation oder Altersarmut. Der Anspruch auf Persönliche Assistenz darf nicht von der Postleitzahl und von der Form der Behinderung abhängen. Es braucht nicht nur Persönliche Assistenz im Kontext von Arbeit, sondern für alle Lebensbereiche, beispielsweise für Interessenvertretung, für familiäre Betreuungsverpflichtungen und in der Freizeit.
Chancengerechter Zugang
Noch immer landen zu viele Frauen mit Behinderungen in einer Bildungssackgasse, da sich bei ihnen (Aus-)Bildung „nicht auszahle“. Selbst top qualifizierte Frauen erhalten nur schwer einen fair entlohnten und ihren Qualifikationen entsprechenden Job. Um Frauen mit Behinderungen gerechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit ein ökonomisch selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, müssen spezifische Förder- und Unterstützungsmaßnahmen für Frauen mit Behinderungen geschaffen werden. Ebenso müssen alle Aus-, Fort- und Weiterbildungen inklusiv gestaltet, und für Frauen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich sein.
Empowerment und Interessenvertretung
Weder in den Organisationen mit dem Fokus auf Behinderung, noch in den Organisationen mit Frauenfokus gibt es strukturell verankerte Interessenvertretung für Frauen mit Behinderungen. Frauen mit Behinderungen stellen die Forderungen an die politischen Entscheidungsträger*innen, an die Organisationen zum Thema Behinderung, an die Frauenorganisationen und Arbeitsmarktorganisationen. Weitere Informationen zum Thema Frauen mit Behinderungen und der Tätigkeit des Kompetenzteams gibt es hier.