Tanz der Gefühle

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In allen Kulturen hat das Herz eine besondere Bedeutung als Zentrum des Lebens oder Sitz der Seele. Wie eng die Verbindung von Herz und Emotion ist, zeigen auch Redewendungen wie: „Sich etwas zu Herzen nehmen“, „Sein Herz ausschütten“ oder „Es bricht mir das Herz“.

Wie es ist, „ein Herz und eine Seele“ zu sein, hat Hope* erlebt: „Als ich sie zum ersten Mal sah, wusste ich es, ich wollte sie näher kennenlernen. Ihr Äußeres ­­– auch wenn dies sehr oberflächlich ist und nicht viel aussagt über die Person – hat mich zu allererst angezogen. Mit der Zeit kamen wir uns auch näher, wenn auch erst ,nur‘ auf reiner freundschaftlichen Ebene. Bis zu dem Tag, als wir über Frauen sprachen und wer denn so mein Typ sei. Eine kleine Info am Rande, falls sich das jemand fragt: ich bin pansexuell (also ich bezeichne mich so). Das bedeutet, ich verliebe mich in den Menschen, egal ob Mann, Frau, Non binär, unabhängig von Kultur, Religion, Geschlecht und so weiter. Dieses Gespräch mit ihr machte mich nervös und ließ mein Herz dementsprechend kräftiger schlagen. Sie wusste ja noch nicht, welches Interesse ich an ihr hatte. Nach einiger Zeit war unser erstes Date. Ich weiß es noch genau, es war an einem Freitag nach meinem Kurs. Huch, war ich aufgeregt. Innerliche Panik machte sich breit. Mein Herz sprach nur in dieser Sprache ‚Boom Boom, Boom Boom‘, immer lauter, immer schneller. So kam es mir vor.

In dem Lokal angekommen, aßen wir, unterhielten uns und mit der Zeit war ein Verlangen des sich Näher-Kommens da. Wir beide waren aufgeregt wie frisch verliebte Teenager. Mir rutschte wortwörtlich mein Herz in die Hose vor lauter innerlicher Aufregung. Denn ihr Lachen ist es was meinem Herzen guttut. Ihre Blicke sind es die mein Herz springen lassen und mir ein scheues Lächeln entlocken. Ihre liebevollen Worte geben mir Wärme. In ihrer Nähe pocht mein Herz lauter als sonst. Ihr Humor ist der Grund, warum mein Herz lacht. So fühlt sich für mich Liebe an. Nicht immer so kitschig, aber ungefähr so“.

Trauer und Zorn

Herzklopfen ist für Wrexer* nicht immer positiv besetzt: „Das Herz schlägt. Jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und fast jede Sekunde. Oder auch mehrfach die Sekunde. Herzklopfen ist etwas, dass wir alle kennen. In Angst, in Freude, in Liebe, in Verzweiflung. Die Momente, in denen mir das Herz fast aus der Brust gesprungen wäre, sind sehr prägnant. Einen dieser Momente hatte ich vor gar nicht so langer Zeit: Es geht um eine Bekannte, einen Streit und eine ungelöste Problematik.

Ich habe versucht, das zu lösen. Und von der Gegenseite kam gefühlt nichts. Ich habe ihr in diesem Augenblick sehr tief in die Augen geschaut. Und da war einfach nichts. Kein Funken. Keine Trauer. Einfach ein leerer Blick. Mein Herz ist im Dreieck gesprungen. Ich war enttäuscht, traurig und verzweifelt. Ich kann mit so einem Verhalten mir gegenüber nicht umgehen. Vor allem wenn dieses Verhalten von Widersprüchen zersetzt ist. Es waren Sätze wie ,Nein, ich schätze deine Anwesenheit und bin dir dankbar dafür, dass du mich gelegentlich aus meinem Loch rausholst‘ sind nett. Sie erfreuen mich, weil ich dadurch sehe, dass mein Tun einem Zweck gilt und Früchte trägt.

photokip.com/pexels

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Aber wenn dann nichts zurückkommt, man nur ignoriert wird … das ist nicht schön. Vor allem wenn einem an der Freundschaft etwas liegt. Als wir die erste Uneinigkeit hatten, fragte ich, ob es schlauer wäre, den Kontakt vielleicht abzubrechen. Total entrüstet bekam ich ein ,Wie kannst du sowas überhaupt nur in Erwägung ziehen?‘ als Antwort. Und nun? Das genaue Gegenteil. Als ich ihre Antwort gelesen hatte, schlug mein Herz schnell und stark. Ich spürte, wie das Blut, gemischt mit Trauer und Zorn, durch den Körper rauscht. Ich höre es am Ohr, ich spüre es an den Handgelenken, ich spüre es im Magen. Oftmals schlägt mein Herz stark und schnell. Meistens in Bezug auf einen Streit. Oder wenn ich zum sechsten Mal von derselben Person angerufen werde. Aber es gibt nur eine Person, die mir so intensiv auf die Ketten geht. Und da kommt es oft zum Aneinandergeraten. Zumal es keinen Ausweg gibt.

Wenn die Wut mein Herz einnimmt, legt sich ein rotes Tuch über mein gesamtes Sein. Es fällt mir dann schwer, loszulassen. Es fällt mir sehr schwer. Diese Streitereien können Stunden dauern. Damit ich aus diesem Tief rauskomme, hilft meistens nur eine gewisse Kombination: Musik – entweder sehr laut über die Lautsprecher, damit der Nachbar auch mal gute Musik zu hören bekommt oder über die Kopfhörer. Es macht an sich keinen Unterschied, Hauptsache es ist laut genug, um das wütende und verzweifelte Rauschen zu unterdrücken. Hab‘ ich die richtige Musik, widme ich mich meiner Bastelarbeit. Blättchen, Z-Filter und etwas Grün – das Basteln dauert, auf Grund meiner jahrelangen Erfahrung, nicht länger als drei Minuten. Erst dann wird es einfacher. Mit jedem Herzschlag. Fast jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. Jeden Monat und jedes Jahr. Aber manche Herzschläge werde ich nie vergessen“.

Im Widerstand

Toni* erzählt, was sein Herz höherschlagen lässt: „Es ist Mitternacht. Ich packe meine Dosen zusammen und mach mich auf den Weg ins Zugdepot. Die Farbwahl fällt mir ziemlich leicht. Das liegt mir einfach im Blut. Leider habe ich wenig Talent im Bereich malen und zeichnen. Alles was ich kann, habe ich mir durch ständiges Üben beigebracht. Gerade Linie ziehen. Wie funktioniert ein 3D oder ein Schatten. Was ist ein Highlight und wie setze ich diese ein, um mein Bild mit einem Lichteffekt glänzen zu lassen.

Jetzt bin ich bereit für Aktion. Ich habe eine Zange dabei, um den Zaun zu öffnen und mich problemlos auf das Bahngelände zu schleichen. Ich warte erstmal circa eine Stunde bis sich die letzten Arbeiter verziehen und begebe mich so unauffällig wie möglich Richtung Zug. Mein Herz klopft wie verrückt. Der Adrenalinausstoß lässt meine Hände zittern. Das ist natürlich sehr ungünstig. Mit zittrigen Händen kann ich doch kein Bild malen. Alles gut Toni, sag ich mir und beginne mein Bild vorzuziehen.

Ein ,Fuck Nazis‘-Schriftzug wird letztendlich diesen Zug schmücken. Das werden einige Menschen in Österreich nicht so gut finden. Die Stadt ist zu der Zeit, als ich das Bild mache, von politischem und bürgerlichem Rassismus geprägt. Deshalb wiegen sich die Rassisten in Sicherheit und verbreiten in der Stadt Parolen wie zum Beispiel: ,Wären alle Jugos tot, gäb´s kein Nachbar in Not‘. Mein Vater kommt aus Jugoslawien. Wie soll ich das ignorieren? Ich hoffe dieser Zug fährt durch die Stadt damit Gleichgesinnte sehen, dass es auch Leute gibt, die diesen Rassismus bekämpfen und darauf aufmerksam machen, dass es so nicht weitergehen kann. Man muss Initiative ergreifen. Wenn du erwischt wirst, gibt es eine Vorstrafe. Vielleicht sogar Gefängnis denke ich mir.

Ist es das wert? frage ich mich. Auf jeden Fall!, sagt mein innerer Rebell. Ich bin gestresst und male so schnell ich kann. Da sind die zittrigen Hände schon wieder. Das ist gar nicht gut. Ich versuche mein Bild so schön genau wie möglich zu malen und mache mich dann auf den Weg ins Sichere. Ich habe es geschafft. Hoffentlich hat mich niemand gesehen. Schnell weg von hier. Auf dem Heimweg fährt die Polizei an mir vorbei. Werden die umdrehen und mich kontrollieren? Mein Herz rast erneut wie verrückt. Die kommen nicht wieder, denke ich mir nach ein paar Minuten. Erst als ich zuhause angekommen bin legt sich meine Nervosität. Wieder habe ich erfolgreich eine wichtige politische Message verbreitet. Nazis sind hier nicht willkommen“.

Spielen und Lieben

Alexbo* bekommt Herzklopfen, wenn er in einem Spielfinale am Computer „clutchen soll: Es ist die reinste Katastrophe: deine Hände fühlen sich schwitzig an, man zittert, ich versuche dann noch dauernd die Maus in der perfekten Position zu halten. Ich werde sozusagen vom Herzklopfen abgelenkt, weil das Herz gegen den Brustkorb hämmert. Und es nervt. Herzklopfen bekomme ich auch, wenn ich irgendwohin gehen soll, wo ich noch gar nie war. Unbekanntes regt mich auch, man weiß nicht wie die Menschen zu einem sein werden und das nervt. Unwissenheit nervt und ich würde sagen das sogar die Unwissenheit bei mir dafür verantwortlich ist, dass ich Herzklopfen bekomme. Ich lasse es einfach über mich ergehen. Vielleicht wird es eines Tages ein ,Noice canceling Heart‘ geben. Das wäre lustig“.

RaceKings* Herz klopft, wenn er mit seiner Freundin chattet: „Vor allem wenn wir über schöne Themen sprechen, wie zum Beispiel unser erstes Treffen oder dass wir im Sommer nach Kroatien fahren wollen. Auch wenn ich mit meinen Freunden draußen Fußball spiele oder wir ein Match machen und ich viel laufe, dann bekomme ich Herzklopfen und Seitenstechen. Wenn ich am Computer oder Handy ein Spiel spiele und bemerke, dass ich gewinne, dann bekomme ich Herzrasen und meine Hände zittern. Wenn ich gewinne, dann bin ich sehr glücklich und ich muss mich dann zehn Minuten ausruhen. Wenn ich in der Schule Vorträge gehalten habe, hatte ich auch Herzklopfen und zitternde Hände“.

SaLu* hat ein Gedicht zum Thema beigesteuert: „Das Herz das pocht, wie ein Wasserhahn tropft/ Fällt der Tropfen ins Leere oder plätschert es/ Wie wenn das Becken voll wäre/ Das Herz einen Rhythmus findet, damit Alles was wir fürchten schwindet/ Es ist ein lebend Ding, mit dem das Ende anfing“.

*Wrexer, Toni, Hope, Alexbo, RaceKing und SaLu (Namen geändert) sind Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen