Kika und Lucy Wilke bringen als „Blind & Lame“ heiße Rhythmen auf die Bühne. Der Bandname beschreibt die Behinderungen, mit denen die beiden Musikerinnen leben. Darauf reduziert werden, wollen sie aber nicht. Gegründet wurde Blind & Lame zwar erst vor knapp drei Jahren. Musiziert haben Kika und Lucy Wilke aber schon immer miteinander, denn sie sind Mutter und Tochter. „Den Namen haben wir zuerst nur aus Spaß gewählt“, sagt Tochter Lucy, „meine Mutter und ich haben gedacht, wenn wir unserer Behinderungen im Bandnamen tragen, dann ist dieses Thema schon einmal abgehakt und wir werden nicht mehr nur darauf reduziert“, so Lucy Wilke. Sie kam mit einer Spinalen Muskelatrophie zur Welt, einer Muskelerkrankung, bei der die Nervenzellen im Rückenmark schwinden, die die Körperbewegungen steuern. Von klein auf konnte sich Lucy nur mit dem Rollstuhl fortbewegen und war auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Vor ungefähr zehn Jahren erblindete ihre Mutter infolge einer Netzhautdegeneration. Die musikalische Karriere bremste das aber nicht. „Ich kann auch blind Gitarre spielen und singen“, sagt Kika. Die Texte für ihre Songs schreiben die beiden Musikerinnen selbst. Geprobt wird meist in der Wagenburg bei München, in der Kika Wilke seit über dreißig Jahren in einem Wohnwagen lebt. Es gibt keine Nachbarn, man kann laut sein und abends ums Feuer sitzen und singen. „Ein idealer Ort zum Musikmachen“, sind sich Lucy und Kika einig.
Dennoch ist Lucy vor einigen Jahren in eine eigene Wohnung nach München gezogen. „Es war Zeit, mich abzunabeln“, meint die Sängerin. Beruflich ist sie der Kunst treu geblieben. Nach der Matura machte sie eine Bühnenausbildung, nahm Schauspiel- und Sprechunterricht und Gesangsstunden. Sie arbeitete als Regieassistentin an mehreren Theatern, war an einem Londoner Schauspielhaus. Mittlerweile hat sie mehrere Kurzfilme gedreht, illustriert Bücher und gibt regelmäßig Konzerte. Auch wenn das mitunter beschwerlich ist, denn „viele Clubs haben keine Rampe“. Wenn möglich, buchen Blind & Lame deshalb Locations mit breiten Gängen und ohne Stufen. „Es geht ja nicht nur um mich“, sagt Lucy. „Auch viele unserer Fans haben Behinderungen.“ Und obwohl sich Blind & Lame nicht über die „Behindertenecke“ definieren wollen, wissen sie doch „uns gibt es nur als Gesamtpaket, also auch mit unseren Behinderungen“. Auf der Bühne strahlen beide eine ungeheure Lebensfreude aus. Und das macht Mut. Im Interview erklärt Lucy Wilke, wie das gelingt.
Access Guide Magazin: Worum geht es in Ihren Liedern, was sind Ihre Themen?
Lucy Wilke: Meine Texte sind meist eher melancholisch und handeln von Liebe und Liebeskummer. Es ist ja für mich nicht immer leicht, trotz meiner Behinderung auch als Frau wahrgenommen zu werden. Die Lieder meiner Mutter sind eher lustig, oft emotional und mitunter kämpferisch. Manchmal entstehen aus Wortmalereien Texte, wie zum Beispiel das Lied „I wann` a man“. Auf der Bühne moderiere meistens ich und meine Mutter erklärt die Texte. Wir singen ja in verschiedenen Sprachen, z.B. spanisch, französisch, englisch oder deutsch. Meine Mutter und ich sind ein eingespieltes Team, wir verstehen uns gut, aber natürlich gibt´s hin und wieder auch Unstimmigkeiten, wie in jeder anderen Mutter-Tochter-Beziehung auch.
Access Guide Magazin: Was empfinden Sie auf der Bühne?
Lucy Wilke: Jedes Konzert ist anders, manchmal ist es sehr ruhig, dann wieder sehr lebendig. Oft wird getanzt. Im Vorjahr waren wir z.B. bei einem Frauenfestival. Dort haben wir in einem großen Zelt gespielt. Es waren nur Frauen da und alle haben getanzt. Das war sehr schön. Momentan sind wir in ganz Deutschland unterwegs, ein paar Mal im Monat. Mehr würd ich aber gar nicht schaffen, dazu fehlen mir die Kräfte. Unser nächstes Konzert findet am 16. Jänner in München statt.
Access Guide Magazin: Wie haben Sie ihren Bandnamen gefunden.
Lucy Wilke: Meine Mutter und ich waren spazieren und haben überlegt, wie wir uns nennen könnten. Blind & Lame war dann eher als Witz gedacht, ein reiner Spaßtitel, aber dann sind wir draufgekommen, dass der eigentlich gut passt. Es ist ja so, dass sich die mediale Welt immer zuerst auf unsere Behinderungen stürzt. Wir haben uns gedacht mit dem Namen Blind & Lame ist das abgehakt und es geht dann nur noch um unsere Musik. Wir sind nicht Behinderten, die auch Musik machen, sondern Musikerinnen, die eine Behinderung haben. Wir wollen nicht mit unserer Behinderung Erfolg haben, sondern mit unserer Musik.
Access Guide Magazin: Was sind die großen Herausforderungen für Sie als Musikerinnen?
Lucy Wilke: Als vor zwei Jahren der Amoklauf in München passierte, waren wir gerade auf Konzerttour. Wir sind im Hotel angekommen und wussten nicht, ob´s unseren Leuten daheim gut geht. Eine halbe Stunde später mussten wir auf die Bühne. Das war schon eine ziemliche Herausforderung, dann professionell zu bleiben. Aber es ist uns gelungen, die Show durchzuziehen. Zum Glück ist in München niemandem von unseren Freunden etwas passiert.
Access Guide Magazin: Planen Sie demnächst auch nach Österreich zu kommen?
Lucy Wilke: Momentan gibt´s zwar keine konkreten Pläne, aber wir würden gern in Österreich auftreten. Unsere Konzerttermine findet man auf unserer facebook-Seite. Das ist momentan unser aktivstes Tool. Unsere Homepage wird gerade neu aufgesetzt.
Access Guide Magazin: Wo würden Sie sich musikalisch einordnen?
Lucy Wilke: Das ist schwer zu sagen, wir sind sehr breit aufgestellt. Gitarrenpop würde es vielleicht am besten treffen. Es gibt aber auch starke Rumba, – Gypsie-, Singersongwriter und Country-Einflüsse. Wir singen zweistimmig. Und wir können auch ohne Verstärker singen, das haben wir am Lagerfeuer geübt. Bei uns ist alles handgemacht.
Access Guide Magazin: Wie war ihr Leben in der Wagenburg?
Lucy Wilke: Meine Eltern sind keine Aussteiger. Sie wollten einfach nur nah an der Natur leben, an einem schönen Platz. Das war keine politische Entscheidung. Für mich war der Wagenplatz ein idealer Ort zum Musikmachen. Das ist auch bis heute so geblieben.
Access Guide Magazin: Sie wohnen jetzt allein, wie funktioniert Ihr Alltag?
Lucy Wilke: Ich habe eine 24 Stunden Assistenz. Die Betreuer führen uns auch zu den Konzerten. Meistens nehm ich männliche Assitenten mit auf Tour, die können mehr heben. Ich hätte gerne einen richtigen Tourbus, in dem ich gut liegen kann, das wäre für mich angenehmer. Die Fahrten sind schon recht strapaziös für mich.
Access Guide Magazin: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Lucy Wilke: Ach eigentlich bin ich ziemlich zufrieden. Ich würde gerne noch mehr in Clubs spielen, zusätzlich zu den Konzerten. Und privat wünsch ich mir eine eigene, kleine Familie.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.