„Gehen und schreiben“ ist eine Übung, die in den Schreibworkshops des Access Guide Magazins immer wieder gemacht wird. Dabei geht es darum, den Blick abwechselnd nach außen und nach innen zu richten. Dino* war an einem sonnigen Vormittag im Juni unterwegs:
„Ich lauf durch die Straßen und fühle den harten Asphalt unter meinen Füssen. Der Wind fährt mir leicht durch‘s Haar. Ich komm an einem Spielplatz vorbei und tauche ein in Erinnerungen und Nostalgie. Ich gehe hinein durch’s Gras zu den Holzstücken, die den Spielplatzboden bedecken. Ich sehe die Schaukel und setze mich auf den leicht durchnässten Korb und schwinge hin und her. Sofort fühl’ ich mich irgendwie schwerloser, glücklicher und ich lächle. Ich spüre, wie die Sonne sanft aus den Wolken emporkommt und mir ins Gesicht scheint. Ich fühle mich verbunden mit der Welt und fühle diese Leichtigkeit. Das Hin und Her-Schaukeln ist Balsam und beruhigt meine nervöse Persönlichkeit. Ich fühle mich auf einmal so sicher, so selbstbestimmt, dass ich überlege, ob das Wahnvorstellungen sind. Doch das Gefühl ist echt und ich will es fühlen und nie wieder raus aus der Schaukel gehen.
Da kommen Kinder näher und ich fühle mich komisch, leicht komisch zumindest. Die Kinder kommen freundlich auf mich zu und fragen mich, ob sie auch einmal schaukeln dürfen. Wir lachen uns an und ich merke, es ist Zeit, ihnen die Schaukel zu überlassen. Glücklich gehe ich weiter und setze mich auf eine mit einem Regenbogen bemalte Bank. Die erinnert mich daran, dass am Samstag Pride ist. Ich gehe weiter, vorbei am Skater-Park, der vollkommen menschenleer ist. An einer Wand steht ,Rapid` in Großbuchstaben. Ich denke, Fußball habe ich noch nie verstanden.
Weiter geht‘s durch die Hecke zurück auf der Straße zu den Brombeerfeldern. Ich sehe die Blüten und die Bienen die sich darin sammeln. Was sie wohl denken? So friedlich sehen sie aus, wie sie alle ihrer Königin dienen. Ob es wohl auch Bienen gibt, die aus den Strukturen ausbrechen wollen? Haben sie einen eigenen Willen? Ich weiß es nicht.
Leider gibt es noch keine Brombeeren, aber sie werden schon noch reifen. Alles braucht seine Zeit oder so‘n Scheiß. Ich seh‘ eine Weinbergschnecke am Asphalt kleben, ich höre, wie die Vögel für mich singen. Ich rieche den Duft der Gräser. Das Flugzeug fliegt über mir, der Himmel reißt auf, die Sonne blendet mich und gibt mir Wärme. Der Holunderduft, die Gänseblümchen: Natur ist Freiheit. Ich fühle alles so viel stärker. Ich entdecke im Heu eine Farm voller Schnecken. Ich liebe es, wie sie entspannt kriechen, sich nicht stressen und ihre Fühler ausfahren. Sie zeigen mir: Es geht nicht nur darum, schnell anzukommen.
Ich setze mir eine Schnecke auf die Handfläche. Sie zieht sich zusammen. Sie fühlt sich so kalt an so slimy! Sie klebt auf mir und ich versuche, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Wenn sie sprechen könnte, was würd‘ sie wohl sagen? Ich hätte so viele Fragen, aber sie will nicht und so leg ich sie zurück und lass sie weiter kriechen. Ich werde sie vermissen. Loslassen ist nie leicht!
Die Blätter wehen im Wind. Ich sehe ihre Strukturen, wie sie sich durch jedes Blatt ziehen. Ich sehe die Vergänglichkeit des Lebens, das Schwesterblatt ist am Verwelken. Ich höre das Rollen von Autoreifen, ein Schmetterling fliegt hoch empor. Da seh‘ ich die Plantage. Ich sollte umdrehen. Doch da entdecke ich zwei Marienkäfer auf den Brennnesseln sitzen. Ich bin fasziniert von dieser Pflanze. Sie ist so vielfältig! Für dieses Mal verabschiede ich mich von der Natur. Wir werden uns wiedersehen! Auf dem harten Asphalt lauf‘ ich zurück ins reale Leben voller Herausforderung und Probleme. Ich sehe schon das knallgelbe Haus aus der Ferne, ich höre die Klänge der Natur abebben und vom Baustellenlärm überlagern. Auf meinem Weg zurück begegnet mir die Mohnblume so schön, so zart und so sensitiv. Sie weht im Wind, doch will man sie fassen, werden ihre Blätter den Stiel verlassen. Sie muss bleiben, wo sie ist, denn sie gehört mir nicht“.
Dino (Name geändert) ist Teilnehmer von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.