Verwandlungen

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Die Reise zum eigenen Ich kann recht abenteuerlich sein. Auf dem Weg dorthin ist es mitunter hilfreich, sich vorzustellen, ein anderes Selbst zu sein. Valentina und Simon haben dieses Gedankenexperiment gewagt:

„Wenn ich jemand anderer wäre, dann wäre bestimmt vieles leichter. Wenn ich jemand anderer wäre, dann hätte ich vielleicht längere Beine. Ich wäre groß und schlank und ich würde Sport lieben. Mathematik wäre mein Lieblingsfach und ich wäre immer brav zur Schule gegangen. Meine Matura hätte ich gemacht und ich würde jetzt Kunstgeschichte studieren. Ich könnte fließend Französisch oder sogar Spanisch.

Einmal im Jahr könnte sich meine Familie einen Urlaub leisten, eine Städtereise durch Europa. Ich hätte viele Freunde und liebevolle Eltern. Als Kind hätte ich nur Spaß und Spiele im Kopf gehabt und niemals Mamas Stromrechnung. Meinen Vater hätte ich privat gekannt und nicht nur vor Gericht. Weinen würde ich nur wenn mein Herz gebrochen wird oder wenn mein Haustier stirbt. Ich hätte nie geraucht und harte Drogen würde ich nur aus Filmen kennen. Ich wüsste nicht wie sich eine Überdosis anfühlt oder wie es ist, Freunde dadurch zu verlieren.

Wenn ich jemand anderer wäre, hätte ich einen anderen Namen. Niemand würde mich fragen woher ich komme und wohin ich zurückgehen sollte. Ich würde zu einem Land und einer Kultur gehören. Leute würden mich nicht fragen, warum ich so schön spreche und wo ich es gelernt hätte. Vor Job- oder Wohnungssuche hätte ich nie Angst und vor der Ablehnung aufgrund meines Nachnamens schon gar nicht. Ich hätte keine Angst vor Politikern die groß „Ausländer raus!“ auf ihren Wahlplakaten stehen haben. Ich müsste mich nie wieder beweisen oder rechtfertigen. Aber vor allem … Wenn ich jemand anderer wäre, dann wäre ich nicht ich“, schreibt Valentina*.

Lob der Unvollständigkeit

Simon* hat überlegt: „Ich bin unentschlossen, was ich gerne sein wollen würde, aber alles andere als ein Mensch. Ein Fuchs? Ein Wolf? Ein Rabe? Ein Drache? Eine Kreatur aus purer Energie, die alles sein kann, was sie will – Eine Kreatur des Chaos? Dazu zieht es mich am meisten. Nicht gebunden an Raum, Zeit oder gesellschaftliche, sowie moralische Normen.

Meine Vorstellungen ändern sich je nach Tagesverfassung. Manchmal will ich der Bär sein, der seine Ruhe haben will. Manchmal will ich die Katze sein, die ein Freigeist sein will. Manchmal will ich der Drache sein, der Ehrfurcht in allen weckt. Und manchmal will ich der Kolibri sein, der ständig in Bewegung ist. Wenn ich frei entscheiden kann, was meine physikalischen Eigenschaften sind – egal wie fantastisch sie sind, das will ich sein.

Ich werde alle Dinge ausprobieren, die ich immer schon tun wollte. Das Universum nach Herzenslust erkunden. Und am wichtigsten: Einfach Ich sein, ohne Angst haben zu müssen, dafür verurteilt zu werden. Viel zu oft habe ich das Gefühl, dass mich weltliche und mundane Limitierungen daran hindern, alles erledigen zu können, was ich gerne tun will. Diese Einschränkung ist dann weg. Die einzige Einschränkung bin dann ich. Ich will mein Leben ohne Limitierungen leben können. Ohne ein „Krise hier, Krise da“, ein „Du MUSST arbeiten und Geld verdienen, da nur Geld im System zählt“ oder ein „Du musst so leben, wie wir es dir vorschreiben“. Ich will nach meinen Regeln leben. Ich will ich sein – in meiner Imperfektion“.

*Valentina und Simon (Namen geändert) sind Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.