Der Fachkräftemangel stellt heimische Unternehmen vor große Herausforderungen. Dabei gäbe es viele qualifizierte Menschen auf dem Arbeitsmarkt, wenn die Chancen der Inklusion voll ausgeschöpft würden. Warum es da noch jede Menge Sensibillisierungsarbeit braucht, erklärt Sabine Knopf, Landesstellenleiterin vom Sozialministeriumservice/SMS Wien.
Access Guide Magazin: Welche Aufgaben hat das Sozialministeriumservice bei der Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft?
Sabine Knopf: Dem SMS kommt die wichtige Rolle zu, Menschen mit Behinderungen in inklusive Arbeit zu bringen. Das beginnt schon sehr früh, etwa bei Jugendlichen am Übergang von der Schule zum Beruf. Hier bietet das Netzwerk „Berufliche Assistenz“ individuelles und sehr genau auf die Personen abgestimmtes Jugendcoaching, das schon in den Schulen ansetzt. Weiterführende Angebote sind Arbeitsassistenz, Jobcoaching und vieles mehr. Das sind Maßnahmen, die gut aufeinander abgestimmt sind und bei denen das Schnittstellenmanagement reibungslos funktioniert. Diese Maßnahmen können teilweise auch parallel laufen, damit die Heranführung an eine inklusive Ausbildung oder einen inklusiven Arbeitsplatz auch wirklich gelingt. Darüber hinaus hat das SMS aber auch eine wichtige Rolle für Unternehmen, um sie mit dem Wissen zu unterstützen, wie sie Menschen mit Behinderungen ins Erwerbsleben integrieren können. Das geschieht einerseits mit dem Betriebsservice, das eine relativ neue Maßnahme ist, aber auch mit Individualförderungen, speziell den Lohnförderungen. Das SMS hat da schon eine sehr wichtige Rolle, wir sind eine zentrale Stelle für die Integration von Menschen mit Behinderung – sowohl am Übergang von der Schule in den Beruf, als auch im Arbeitsleben.
Access Guide Magazin: Wie sehr gehört der Beruf zur Identität eines Menschen?
Sabine Knopf: Für mich persönlich ist das ganz wichtig. Ich glaube, es sollte jeder Mensch einer Tätigkeit nachgehen können, die er aufgrund seiner Fähigkeiten ausüben kann. Es ist motivierend und stärkt das Selbstwertgefühl. Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und dazu gehört auch ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis.
Access Guide Magazin: Inklusionsaktivist:innen fordern seit langem ein verbürgtes Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen. Wie sehen Sie das? Welche Rahmenbedingungen müssten dafür geschaffen werden?
Sabine Knopf: Wie schon in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgelegt ist, hat jeder Mensch ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Das bedeutet, dass jeder Mensch einer bezahlten Beschäftigung nachgehen kann und das bedeutet Lohn statt Taschengeld. Auf dem Weg dorthin ist noch einiges zu tun: So bekommen Menschen in der Beschäftigungstherapie derzeit immer noch Taschengeld statt Lohn. Hier gibt es seitens des Sozialministeriums aktuell zwar große Bemühungen, es bleiben aber auch noch viele große Herausforderungen. Man darf nicht vergessen, dass Menschen in der Beschäftigungstherapie zusätzlich zum Taschengeld auch noch andere Sozialleistungen bekommen. Wenn man ihnen einen Mindestlohn finanziert, muss man sich auch den Rest der Bevölkerung anschauen, wie weit braucht man da einen Mindestlohn? Wenn man sich z.B. den Lebensmittelhandel anschaut, da verdient eine Angestellte in Vollzeit vielleicht 900 Euro.
Dennoch wäre Lohn statt Taschengeld idealerweise das Ziel, aber da ist noch viel zu tun. Man muss sich die Problematiken auf mehreren Ebenen anschauen. Wichtig dabei wäre etwa früh anzusetzen, z.B. bei der inklusiven Bildung: und zwar in der Sekundarstufe 2, die es ja nicht gibt. Denken wir an das 11. und 12. Schuljahr: Da gibt es noch keinen Rechtsanspruch für Jugendliche mit Behinderung. Je länger diese aber in der Schulbildung bleiben können, umso mehr können sie auch erreichen. Das Gleiche gilt für weitere Ausbildungen, Lehrberufe, verlängerte Lehre oder Teilqualifizierung. Auch da muss man ansetzen. Das gilt auch für Qualifizierungsmaßnahmen, die länger dauern. Man sieht immer wieder, was man aus Menschen mit Behinderungen, speziell mit nicht sichtbaren Behinderungen wie Down-Syndrom, herausholen kann, wenn sie längerfristig unterstützt und gefördert werden. Dann ist es sehr wohl möglich, dass sie einer Beschäftigung nachgehen können. Ein erster Ansatz wäre, sicher zu stellen, dass es da auch mehr Angebote an inklusiver Bildung und Ausbildungen und dergleichen gibt.
Access Guide Magazin: Welchen Mehrwert gibt es für Unternehmen die Menschen mit Behinderungen als Mitarbeiter:innen einstellen?
Sabine Knopf: Inklusion in Unternehmen gelingt dann, wenn alle Beteiligten die Bereitschaft zeigen Ressourcen-orientiert zu arbeiten, d.h. nicht nur die CEOs, sondern alle Mitarbeitenden des Unternehmens. Dass Vielfalt einem Unternehmen einen Mehrwert gibt, hat sich langsam in den Unternehmen herumgesprochen. Inklusion verbessert das Klima im Unternehmen und auch die Motivation der Mitarbeitenden, was die Unternehmen auch wettbewerbsfähiger macht. In Zeiten wie diesen, wo ständig über Fachkräftemangel geklagt wird oder über Arbeitskräftemangel generell, sollte man Menschen mehr als Individuen mit ihren Stärken sehen und sie nicht danach beurteilen, welche Art von Behinderung sie haben. Schließlich gibt es mittlerweile sehr viele neue Technologien, die etwa bei Sehbehinderungen so gut unterstützen, dass die Behinderung als solche gar kein Thema mehr ist. Mir gefällt der Satz einer Betroffenen „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert durch das Umfeld“. Besser kann man es nicht sagen. In der Arbeitswelt sollte es ausschließlich darum gehen, welche Kompetenz man einbringt und nicht um die Art der Behinderung. Bis dahin gehört natürlich noch sehr viel Aufklärungsarbeit gemacht. Das gilt vor allem den nicht sichtbaren Behinderungen, wie etwa psychischen Erkrankungen, aber auch bei Autismus, Down-Syndrom und dergleichen. Da gibt es teilweise noch große Unsicherheiten in Unternehmen, die sich fragen: „Was bedeutet das?“, „Worauf muss ich achten?“. Das Betriebsservice oder die Arbeitsassistenz bieten hier Workshops an, um die Unternehmen zu sensibilisieren und zu vermitteln, was die jeweilige Krankheit bedeutet, wie sie sich auswirkt und worauf zu achten ist. So wird da ein wenig die Scheu weggenommen. Inklusion kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten eines Unternehmens ins Boot geholt werden.
Access Guide Magazin: Menschen mit psychischen Erkrankungen haben es oft besonders schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wie wichtig sind da spezielle Fördermaßnahmen wie etwa Eranos?
Sabine Knopf: Die sind sehr wichtig. Auch hier muss man Unternehmen dafür sensibilisieren, was es bedeutet, jemand mit einer psychischen Erkrankung einzustellen. Es gibt meiner Meinung nach noch eine große Scheu bei vielen Unternehmen, aber auch bei den Betroffenen. Psychischer Erkrankungen werden immer noch unterschiedlich als körperliche Erkrankungen bewertet. Gerade bei psychischen Erkrankungen können Betroffene sehr lange über 100% Arbeitsleistung bringen und dann wird die Erkrankung akut und der Betroffene fällt in der Arbeitsleistung zurück. Hier braucht es Maßnahmen um die Betroffenen wieder zu stabilisieren und ihnen zu vermitteln, dass es eine Erkrankung ist, für die man sich nicht genieren muss. Es ist eine Erkrankung wie jede andere Erkrankung. Sehr wichtig ist auch, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Betroffene immer wieder die Möglichkeit haben, sich rechtzeitig zu stabilisieren. Bei der Rückkehr auf den Arbeitsplatz braucht es dann z.B. einen sanften Einstieg und die Möglichkeit nicht gleich Vollzeit arbeiten zu müssen, damit die Betroffenen wieder eine Anschlussperspektive finden. Ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung der länger im Krankenstand war, kann nicht wieder sofort voll ins Erwerbsleben einsteigen. Das halte ich für fast unmöglich. Da muss man wirklich den sanften Einstieg, die Stabilisierung ermöglichen. Und da braucht es auch Maßnahmen um den Einstieg stufenweise zu ermöglichen. Es braucht auch die Möglichkeit, dass Betroffene wieder einen Schritt zurückmachen können und sagen „Jetzt reduziere ich meine Stunden wieder“. Das fällt vielen Betroffenen aber immer noch sehr schwer.
Ich kenne den Fall eines Betroffenen, der selbst vor seinen engsten Angehörigen nicht zugeben konnte, dass es ihm psychisch schlecht ging. Er hatte die leider immer noch weit verbreitete Meinung verinnerlicht, dass man mit psychischen Leiden nicht in Krankenstand geht. Der Mann hatte so schwere Depressionen, dass es dann sogar einen Krankenhausaufenthalt gebraucht hat. Für psychische Erkrankungen muss man sich genauso viel Zeit nehmen, wie für körperliche. Die gesellschaftliche Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen ist aber leider immer noch sehr groß. Da gehört noch viel Sensibilisierungsarbeit gemacht.
Durch die Pandemie haben psychische Erkrankungen noch weiter zugenommen, das sehen wir vor allem bei Jugendlichen am Übergang von der Schule ins Berufsleben. Wir sehen es bei den AFit-Maßnahmen, jenen Maßnahmen, bei denen es um Nachreifung geht. Es wird da jetzt eine psychologische Unterstützung vor Ort angeboten. Es gibt nach wie vor viel zu wenige Psychotherapieplätze.
Access Guide Magazin: Wo liegen die großen Herausforderungen im Blick auf Inklusion in die Arbeitswelt bei Menschen mit psychischen Erkrankungen im Allgemeinen?
Sabine Knopf: Es braucht breit aufgestellte Sensibilisierungsarbeit mit unseren Netzwerken und auch entsprechende Präsenz in den Medien. Wichtig ist, zu vermitteln, dass es sich psychischen Erkrankungen um eine Erkrankung handelt und nicht um eine Laune. Das wird häufig nicht deutlich genug gesagt. Das berufliche Umfeld beobachtet lediglich, dass die Arbeitsleistung nachlässt. Als Erklärung hört man dann: „Der oder die will einfach nicht“. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich die Betroffenen der eigenen Krankheit stellen und sagen „Ich bin jetzt krank“. Wichtig ist, dass sich Betroffene Unterstützung holen. Dafür müssen auch genug Therapieplätze – sowohl für Jugendliche, also auch Erwachsene – geschaffen werden. Darüber hinaus bräuchte es auch flexiblere Arbeitszeitmodelle, auch bei der Ausbildung. Viele Ausbildungsmöglichkeiten werden größtenteils in Vollzeit angeboten. Das ist aber für Menschen mit psychischen Erkrankungen und hier speziell für Frauen mit psychischen Erkrankungen, die womöglich noch Sorgepflichten haben oder Alleinerzieherinnen sind, schwer zu schaffen. Daran sollte man denken.
Access Guide Magazin: Sie sind seit einem Jahr SMS Landesstellenleiterin in Wien: Was waren bis dahin Ihre wichtigsten beruflichen Stationen?
Sabine Knopf: Ich bin seit Jänner 1983 in der Organisation tätig, damals noch unter dem Namen „Landesinvalidenamt“. Ich konnte hier sehr lange viele Bereiche mitgestalten, allen voran den Förderbereich der Inklusion. Das war für mich ein ganz großer Meilenstein. Bevor ich die Landesstellenleitung übernommen habe, war ich schon einige Jahre als Stellvertreterin tätig. Mein großer thematischer Schwerpunkt ist es, Menschen mit Behinderung die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Besonders wichtig ist mir auch, dass Jugendliche mit Behinderung nicht gleich in die Arbeitsunfähigkeit rutschen und zu zeigen, dass sie sehr wohl einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen können. Es zeigt sich immer wieder, dass, wenn Jugendliche mehr Zeit haben, sie sehr wohl einer verlängerten Lehre nachgehen können. In Wien haben wir sehr viele Maßnahmen, und ein gutes Schnittstellenmanagement mit den Kooperationspartnern, wir haben Steuerungsgruppen, in denen wir uns immer wieder austauschen und die Landschaftsangebote sowohl bei Jungen, als auch bei den Erwachsenen mit und ohne Behinderungen anschauen.
Access Guide Magazin: Welche Pläne haben Sie als Landesstellenleiterin, wo sehen Sie Handlungsbedarf und welche Akzente wollen Sie setzen?
Sabine Knopf: Es ist wichtig immer wieder genau zu schauen, was haben wir, was braucht es noch und sind die vorhandenen Maßnahmen noch richtig zielgerichtet oder braucht es was anderes bzw. wie passen sie zu den anderen Kooperationspartnern wie FSW, WAFF und AMS? Wichtig ist außerdem, unsere Maßnahmen transparent zu machen. Es nutzt nichts, wenn wir viel haben, und keiner weiß davon. Der Bereich psychische Erkrankungen wird in Zukunft noch wichtiger werden, ein weiterer großer Schwerpunkt wird auf Frauen mit Behinderungen liegen. Was mir besonders am Herzen liegt ist die inklusive Schulbildung.
Access Guide Magazin: Wie sieht es mit Ihrer persönlichen Work-Life Balance aus? Wie entspannen Sie? Welche Hobbies haben Sie?
Sabine Knopf: Ich arbeite recht viel, aber es macht mir großen Spaß, weil ich mich mit meiner Arbeit identifizieren kann. Zum Ausgleich mache ich Sport – ich wandere gern – oder ich lese Krimis, das ist ideal zum Abschalten. Ich verbringe auch viel Zeit mit meinen Enkelkindern, die sind mit vier und fünf Jahren noch recht klein und fordern einen auch, aber das macht auch Spaß.
Access Guide Magazin: Vielen Dank für das Interview.
Sozialministeriumservice – Landesstelle Wien