Ab dem Alter von 28 Jahren verschlechterte sich Ludwig van Beethovens Gehör kontinuierlich. „Ich bringe mein Leben elend zu. Die hohen Töne von Instrumenten und Singstimmen höre ich nicht, wenn ich etwas weit weg bin, auch die Bläser im Orchester nicht. Manchmal auch hör ich den Redner, der leise spricht, wohl, aber die Worte nicht und doch, sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich”, schrieb der 1770 geborene Komponist als 31 Jähriger an einen Freund. Beethoven half sich mit Mandelöl-Ohrentropfen, Meerrettich-Baumwolle und lauwarmen Donaubädern, aber nichts konnte den Hörverlust aufhalten. Beim Komponieren verließ er sich auf einen Taktstock, der an seinem Flügel befestigt war: Er biss in das freie Ende des Stabs und konnte so mittels Knochenleitung hören.
Heute hätte die moderne Medizin dem Komponisten helfen können. In den ersten Jahren wäre ein einfaches Hörgerät ausreichend gewesen, um den Hörverlust zu mindern. Wäre das Hörgerät an seine Grenzen gestoßen, hätte man ihm möglicherweise ein modernes Hörimplantat operativ ins Mittelohr einpflanzen können, das die Gehörknöchelchen aktiviert. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte Beethoven mit Hilfe eines Cochlea-Implantats wieder gut hören können. Dieses wird bei hochgradigem Hörverlust eingesetzt und stimuliert den Hörnerv direkt, wenn die feinen Sinneszellen im Innenohr nicht mehr funktionieren, aber der Hörnerv noch intakt ist. Und auch, wenn der Hörnerv selbst betroffen gewesen wäre, fände Beethoven heute Hilfe in Form eines Hirnstammimplantats, das die Information direkt an das Gehirn weiterleitet.
Zeitgenössische Musiker mit Hör-Implantat
Dass sich Musik und Hör-Implantate vertragen, zeigen zwei Musikerinnen und ein Musiker mit Cochlea-Implantaten. Walter Widlers Gehör ließ ab seiner frühen Kindheit zunehmend nach, sodass der Niederösterreicher 2002 so gut wie taub war. Seit 2004 trägt er auf seinem rechten Ohr ein Cochlea-Implantat, das linke ist mit einem Hörgerät versorgt. Die Implantation war die einzige Chance des Musikanten, wieder an Gesprächen teilzunehmen und wieder zu musizieren. „Es kann nur besser werden, dachte ich mir vor der Implantation“, sagt der 62-Jährige, „und jetzt bin ich auf 90 Prozent Hörvermögen im Vergleich zu 30 vor der OP.“ Sein Geigenspiel hat dadurch nur gewonnen: „Seit ich mit der speziellen Musikeinstellung am Prozessor arbeite, stimmen 99 Prozent der Töne.“
Die gebürtige Finnin Laura Korhonen (im Bild) erlitt ab ihrem 25. Lebensjahr immer wieder Hörstürze, die schließlich zur Ertaubung am linken Ohr führten. 2018 fiel auch ihr rechtes Ohr aus. Ihrer erfolgreichen Arbeit als Sängerin und Gesangslehrerin konnte sie nicht mehr nachgehen. Schließlich fand sie die Lösung: Ein Cochlea-Implantat, das ihr heute das Hören wieder ermöglicht. So kann sie die Vogelstimmen rund um ihr Haus im Waldviertel wahrnehmen und sich wieder mit ihrer kleinen Tochter unterhalten. Im Hörtraining, das nach der Implantation empfohlen wird, übt sie besonders ihre Musikwahrnehmung und möchte im Herbst wieder als Gesangslehrerin arbeiten. Sie hofft, durch ihr intensives Üben auch ihr Comeback als Sängerin feiern zu können.
Die Oberösterreicherin Veronika Hörfarter ist seit ihrer frühen Kindheit auf ihrem linken Ohr gehörlos, auf ihrem rechten Ohr hört sie gut. Diese Einseitigkeit schränkt die Wahrnehmung ein: Das Richtungshören funktioniert nicht, und das Hören in lauter Umgebung ist schwierig; ebenso wie das Verstehen eines Gesprächspartners, der auf der „schlechten“ Seite sitzt. Aus diesen Gründen entschied sich die Ergotherapeutin, Geschäftsführerin des Unternehmens Holzspecht und begeisterte Pianistin 2011 für ein Cochlea-Implantat. Seither funktioniert nicht nur die Kommunikation mit ihren Klienten in der Ergotherapie besser, auch das gefühlvolle Musizieren ist wieder uneingeschränkt möglich. „Klavier zu spielen bedeutet für mich Lebendigkeit. Musik ist so vielfältig in ihrer Ausdrucksweise. Nach Noten zu spielen ist schön und gut – aber das Schönste ist für mich, diese Noten lebendig zu machen und ihnen Gefühl zu verleihen.“
WHO-Welttag des Hörens
Jedes Jahr zum 3. März macht die Weltgesundheitsorganisation auf die Wichtigkeit eines gesunden Gehörs aufmerksam. 2020 steht der Welttag unter dem Motto „Hearing for life: Don’t let hearing loss limit you“. Rechtzeitige Hörtests und zeitnahe Versorgung mit der passenden Technologie sind essenziell, um die unangenehmen Folgen von Hörverlust hintanzuhalten. Hochgradig schwerhörige Kinder sind nicht immer in der Lage, die Ausbildung ihrer Wahl zu absolvieren, betagte Personen mit Hörverlust schotten sich immer mehr von der Gesellschaft ab, verlieren ihre Kontakte, vereinsamen und haben ein erhöhtes Risiko, an Depressionen und Demenz zu erkranken. Die WHO empfiehlt Menschen mit Hörbeeinträchtigung, ihren Hörverlust so früh wie möglich ärztlich abklären zu lassen und bei Bedarf Hörgeräte, Cochlea-Implantate und andere technische Hilfsmittel zu nutzen, um wieder voll am Leben teilnehmen zu können. Implantate werden in Österreich an allen Universitätskliniken und den meisten Landeskrankenhäusern eingesetzt. Die Kosten übernimmt das öffentliche Gesundheitssystem.
47 Prozent verstehen Gesagtes nicht auf Anhieb
Im Auftrag des österreichischen Hör-Implantate-Herstellers Med-El befragte das Marktforschungsinstitut Atomik Research 1.002 österreichische Männer und Frauen ab 18 Jahren zum Thema „Hören“. 82 Prozent der Befragten gaben an, jemanden mit Hörverlust zu kennen – zehn Prozent davon sind selbst betroffen. Im Fall eines möglichen eigenen Hörverlusts befürchten die meisten Befragten, Frustration im Fall von Kommunikationsschwierigkeiten (28%) zu erleben, das Gefühl von Unzulänglichkeit im Alltag (22%) und soziale Isolation (21%) zu verspüren. 30 Prozent gaben an, ihr Gehör noch nie einem Test unterzogen zu haben; 42 Prozent haben ihr Gehör vor einem bis fünf Jahren zuletzt untersuchen lassen. Dabei wäre ein solcher Test in den meisten Fällen sinnvoll: 47 Prozent der Befragten gaben an, Gesprächspartner im Alltag regelmäßig zu bitten, das Gesagte zu wiederholen, 28 Prozent stellen Radio oder Fernseher regelmäßig lauter und 17 Prozent werden immer wieder dazu angehalten, die Lautstärke eines Audio-Signals zu drosseln oder selbst leiser zu sprechen.