Michael Saletu ist Facharzt für Neurologie und europäisch zertifizierter Schlafmediziner. Im Interview erklärt der Wiener Mediziner, wie vielfältig Schlafstörungen sein können und warum es wichtig ist, individuelle Behandlungskonzepte zu erstellen.
Access Guide Magazin: Warum schlafen wir?
Saletu: Der Schlaf hat eine enorme Bedeutung für unsere Erholung und Zellerneuerung. Wenn wir schlafen finden zahlreiche regenerative Prozesse statt: So werden beispielsweise schädliche Eiweiße im Gehirn abgebaut. Die Beseitigung vom sogenannten Amyloid beta, dem Alzheimer-Protein, ist im Schlaf doppelt so schnell wie im Wachzustand. Die glyphatische Reinigung des Gehirn ist auch sehr wichtig für die Gedächtnisleistung und zur emotionalen Verarbeitung von Gedächtnisinhalten. Schlaf stärkt außerdem das Immunsystem. Wer nur drei Stunden pro Nach schläft, ist viel anfäliger für Infekte oder Viruserkrankungen wie Covid 19. Das Immunsystem regeneriert sich im Schlaf – deshalb haben wir auch ein erhöhtes Schlafbedürfnis, wenn wir krank sind.
Access Guide Magazin: Was passiert im Schlaf genau?
Saletu: Es gibt nach dem Wachstadien vier verschiedene Schlafstadien, die sich in der Nacht mehrmals zyklisch wiederholen. Das Leichtschlafstadium beginnt unmittelbar nach dem Einschlafen. Es markiert den Beginn des Schlafs: Die Muskeln entspannen sich und die Übergangsphase zu den erholsamen Phasen des Schlafes fängt an. Auf die Phase des mitteltiefen Schlafes folgt die Tiefschlafphase: In diesem Schlafstadium sinken Körpertemperatur und Blutdruck, die Atemfrequenz und der Herzschlag werden langsamer. Der Tiefschlaf ist besonders wichtig für einen erholsamen Schlaf. Auf die Tiefschlafphase folgt erst eine Phase leichteren Schlafs und dann die Traumschlafphase oder REM-Phase. Dieses Stadium ist durch schnelle Augenbewegungen unter den Lidern gekennzeichnet (Rapid Eye Movement) – daher der Name.
Access Guide Magazin: Wie wirken sich Schlafstörungen auf unsere Gesundheit aus?
Saletu: Wer schlecht schläft, lebt mitunter gefährlich. Schlafgestörte haben auch häufig gesundheitliche Probleme: sie gehen doppelt so oft zum Arzt und haben zweimal so viele Krankenhausaufenthalte wie gute Schläfer. Schlafgestörte haben haben auch deutlich mehr psychische Probleme wie Angststörungen und Depressionen. Sie leiden unter quälender Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit, an Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, zeigen eine verminderte Arbeitsleistung, haben siebenmal so häufig Arbeitsunfälle und 2,5 mal so häufig Verkehrsunfälle, eine deutlich schlechtere Lebensqualität und nicht zuletzt auch eine verkürzte Lebenserwartung. In Österreich leiden ungefähr 25% an Schlafstörungen. 80% der Schlafgestörten haben ihre Schlafproblemen länger als ein Jahr, die Hälfte davon länger als 5 Jahre, dennoch sucht nur ein Drittel davon professionelle Hilfe.
Access Guide Magazin: Wann sollte man zu Arzt gehen?
Saletu: Wer dreimal pro Woche drei Monate lang Schlafstörungen hat – also nicht einschlafen oder durchschlafen kann – sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Bei der Diagnose einer Schlafstörung spielt auch die Tagesbefindlichkeit eine große Rolle. Es hängt also immer auch davon ab, wie man sich tagsüber fühlt, wenn man sehr erschöpft und müde ist, dazu noch gereizt oder wenn man sich nicht konzentrieren kann, dann sind das ernst zu nehmende Warnsignale.
Access Guide Magazin: Wie können Schlafstörungen behandelt werden?
Saletu: Kräutertees oder pflanzliche Mittel sind sinnvoll, wenn damit ein Schlafritual einhergeht. Ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich aber nicht belegt. In meine Praxis kommen Menschen, die das alles schon ohne Erfolg ausprobiert haben. Die Hälfte davon braucht eine individuelle Schlafmedikamente. Es ist sinnvoll jeden Individualfall multifaktoriell zu behandeln. Es gibt nicht ein Allheilmittel, das bei Schlafstörungen generell hilft – das kreide ich auch der Alternativmedizin an, die weniger ganzheitlich arbeiten, als sie behaupten. Die einfache isolierte Lösung gibt es nicht, man muss auf mehreren therapeutischen Ebenen arbeiten.
Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.