Was ist Mut? Wofür braucht man Mut? Warum gibt es Angst? Wann ist Mut angebracht? Wann ist Angst angebracht? Gibt es die Möglichkeit, ohne Mut und ohne Angst durch`s Leben zu gehen? Diese Fragen hat Wrexer* in seinem Text untersucht:
„Als das Telefon läutete, wusste ich bereits, was passieren würde. Ich wusste, dass diese Angst, die sich seit Tagen und Wochen breitgemacht hatte, berechtigt war. Und nun war es soweit. „Ich bin grad bei dir, könntest du runterkommen?“ Es hat nicht lang gedauert. Ich war am Boden zerstört. Sie ist gegangen. Meine Angst hat sich wirklich bewahrheitet, obwohl ich bereits wusste, dass das passieren würde. Die Veränderung war gigantisch. Ich hatte solche Angst vor dieser Veränderung, dass ich weggelaufen bin. Zehn Tage Steiermark, bei irgendeinem Typen, den ich übers Zocken kennengelernt habe. Sehr anstrengender Kerl. Aber für diese 10 Tage war es fast perfekt. Alkohol in Mengen, zocken und viel Blödsinn – Hauptsache nicht daran denken müssen. Als ich zurückkam, schrieb ich mit ihr, ob wir nochmal reden könnten. Ging nicht, es war zu spät. Sie hatte kein offenes Ohr mehr für egal was ich auch hätte sagen wollen. Hätte ich mich auf der Hinfahrt im Zug etwas zurückgehalten, hätte ich ihr nicht die ganzen Dinge gesagt, die gesagt wurden oder wäre ich nicht weggelaufen, hätte sich vielleicht meine Angst nie so weit entwickelt. Vielleicht wäre es jetzt anders, aber erfahren wird es niemand von uns. Hätte ich damals den Mut gehabt, zu bleiben, nicht ausfallend zu werden, wenn ich den Mut gehabt hätte, aufzustehen und weiter zu machen. Von einem Freund hab` ich „hätte, hätte Fahrradkette“ gelernt. Aber es ist schwerer umzusetzen, als man glauben mag.
Überleben kostet Mut
Mut war, als ich mich gegen meine Mutter behauptet habe. Mut war es, als ich die Polizei wegen ihr gerufen habe. Mut war es, ihr ins Gesicht zu lügen, als die Sanitäter anwesend waren. Mutig war es, ihr zu sagen, dass sie halluzinierte.
Mutig war es, als ich nach meinem Training für die Frau eingestanden bin, die bei der Straßenbahnstation von ihrem Mann geschlagen wurde. Mutig war es, Schläge für sie zu kassieren.
Mutlos war ich, als ich geschlagen wurde. Mutlos bin ich, wenn ich mich hinter meiner Angst verstecke. Mutlos bin ich, weil ich diese Angst nicht zeigen möchte. Angst ist Schwäche. Angst bedeutet Überleben. Überleben kostet Kraft. Überleben kostet Mut.
Meine angelernten Verhaltensmuster verlangen mir sämtliche Kraft und folglich Mut ab, die ich aufbringen kann. Die Maske, hinter der ich mich verstecke, wird mit jedem Mal Aufsetzen, leichter. Aber sobald ich sie aufsetze, erdrückt mich das Gewicht der Angst. Sie nicht aufzusetzen, dafür fehlt mir der Mut. Mir fehlt der Mut, zuzugeben, wie gebrochen ich eigentlich bin.
Alle die mich näher kennen, wissen, dass ich Angst habe. Alle wissen um meine Maske Bescheid. Aber niemand weiß, wie es darunter wirklich aussieht. Ich hab` nicht den Mut, anderen meinen tiefen, seelischen Abgrund zu zeigen. Und aus der Angst lässt sich nicht dieselbe Kraft schöpfen, wie aus Mut oder Freude. Kraft, die man aus Angst schöpft, wird zum Überlebenstrieb. Mut ist, wenn man die Kraft besitzt, nicht nur zu überleben, sondern zu leben“.
Im permanenten Mutszustand
Für Miks* besteht das ganze Leben aus Mut. Er schreibt: „Ständig müssen wir uns neuen Herausforderungen stellen und das jeden Tag. Egal ob man eine schwere Prüfung vor sich hat, einen neuen Job anfängt oder die Liebe seines Lebens kennenlernen möchte. Doch warum müssen wir überhaupt mutig sein? Was wäre, wenn es Mut gar nicht gäbe und wir nie mutig sein müssten? Bestimmt hätten wir all die ganzen Herausforderungen und Ziele nie erreichen könen, wenn wir keinen Mut hätten. Wahrscheinlich wären wir auch nicht hier gesessen oder soweit gekommen, ohne mutig gewesen zu sein.
Ist Mut eine Existenzfrage? Bestimmt zum Teil. Das Leben ist nicht so einfach zu leben. Manchmal lassen wir Dinge aus oder streben sie gar nicht an, weil wir keinen Mut in uns haben. Andere Menschen sind ständig auf der Hut und können richtige Draufgänger zu sein, auch wenn man dabei teilweise auch Niederlagen erleben muss. Schon im jüngsten Alter als Kleinkinder lernen wir von den Eltern, mutig zu sein. Wir brauchen Mut, um neue Dinge schaffen zu können. War es das erste Mal Laufen lernen oder sich selber anzuziehen. Es gibt so viele Dinge bei denen wir mutig sein mussten. Mut bedeutet ständig in einer Situation auf der Hut zu sein und der Drang sich von seiner Angst selbst loszulösen. Dies ist auch eng mit Motivation verbunden, da wir durch Motivation auch mutiger werden können. Doch was ist, wenn ich mal in einer schlechten Situation sitze und trotzdem durch etwas durchkommen muss?
Selbst wenn ich fremde Personen anspreche, muss ich ständig in einem „Mutszustand“ sein. Das Ansprechen von neuen oder fremden Leuten fällt mir ziemlich schwer. Besonders wenn ich auf eine Person stehe oder es einfach eine zufällige Gruppe an Leuten ist. Meistens muss ich mir den Mut kurzzeitig anlernen. Bevor ich irgendetwas wage, müssen sich erst mal meine Emotionen ansammeln. Danach muss ich versuchen, mit meinen Emotionen umgehen zu lernen und daraus Mut zu schaffen. Das Level an Mut ist immer Situationsbedingt. Meistens fühle ich mich am mutigsten, wenn ich hinter einer Sache einen Erfolg erkennen kann oder ich eine Chance sehe. Besonders mutig muss ich sein, wenn ich wie jetzt bald ein neues Leben mit einer neuen Ausbildung und neuen Leuten starten werde. Die neue Aufgabe in einem neuen Umfeld mit fremden Leute stellen für mich eine große Herausforderung dar“.
*Wrexer und Miks (Namen geändert) sind Teilnehmer von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen.